Ein schleichender Prozess, der sich über Jahrzehnte vollzieht, kann doch ein solches Tempo
erreichen, dass er den Beobachter überrollt. Der muss sich nur selbst lange genug im
Schneckentempo bewegen. Womit wir beim Klimagipfel von Kattowitz sind, der am vergangenen
Wochenende in einer Einigung mündete, die man so umschreiben könnte: Es wurden Regeln dafür
gesetzt, wie die Klimaschutzzusagen von 196 Staaten eingehalten werden sollen – bloß weniger
strenge als erhofft. Mit ihren Zusagen hatten die Staaten erklärt, wie sie das Ziel des
Pariser Abkommens von 2015 erreichen wollten – bloß weniger ehrgeizig als nötig.
Nun, nach Kattowitz, wird das Erreichte als Erfolg gefeiert, einfach weil überhaupt etwas
erreicht wurde, dem Störfeuer der Russen, Saudis und Amerikaner zum Trotz. Der
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman spricht von einer “neuen Achse des Bösen”. Natürlich
ist eine Einigung besser als keine Einigung. Und womöglich entfaltet sie ja eine unerwartete
Eigendynamik, werden die armen Länder die reichen an ihre Zusagen erinnern, werden
Klimaschutzbummler auf offener Weltbühne beschämt werden. Irgendwann.
Das strapaziert jedes Tempoempfinden. Der Klimawandel ist längst akut, nicht mehr latent. Die
Menschheit aber verwaltet ihn immer noch.
Blicken wir auf ein paar Schlüsselereignisse des Klimajahres 2018 zurück:
Die längste Regierungsbildung der Republik brachte en passant das Eingeständnis: Klimaziele
für 2020? Schaffen wir nicht. Aber wir legen per Gesetz fest, dass wir die für 2030 schaffen
werden. Den gängigen Annahmen der Wissenschaft zufolge müssten die globalen Emissionen 2030
schon um die Hälfte gesenkt worden sein, um noch eine Abmilderung der Erderwärmung zu
erreichen – um schließlich 2050 netto bei null zu liegen.
Nicht nur Deutschlands Zögern steht im offensichtlichen Widerspruch dazu. Dem Beschluss von
Kattowitz nach müssen die Vertragsstaaten sich künftig tiefer in die Karten blicken lassen,
was ihren Klimaschutz betrifft (“Transparenzbericht”), allerdings erst ab 2024. Wohlgemerkt,
spätestens ab 2020 müssten die Emissionen sinken, soll das Paris-Ziel erreichbar bleiben.
Das kommt davon, wenn man dreißig Jahre lang ein absehbares Problem vor sich herschiebt. So
lange gibt es den Weltklimarat schon, seine Berichte und die dringenden Appelle. Und was
Klimaforscher jüngst herausfanden, lässt ältere Erkenntnisse allzu oft konservativ erscheinen.
Meeresspiegelanstieg, Arktiserwärmung, Hitzestau im Meer – viele neue Indizien deuten darauf
hin, dass die Natur sensibler auf Treibhausgase reagiert als gedacht. Ein außergewöhnlich
heißer Dürresommer wie der diesjährige weckt da böse Vorahnungen.
Als sich im Herbst in San Francisco Vertreter von Städten und Regionen, Initiativen und
Konzernen zum Climate Action Summit trafen, führten sie vor, wie man das Tempo steigern
könnte: Sie fügten den Klimaschutzzusagen der Staaten weitere eigene hinzu.
Gemeint war das als Präludium zum Gipfel in Polen, der dann nur “tausend kleine Schritte”
brachte, wie Verhandlungsleiter Michał Kurtyka eingestehen musste. Wenn schon Trippelschritte
so mühsam sind, liegt natürlich der Fehlschluss nahe, Größeres sei unmöglich. Dabei gäbe es
durchaus gangbare große Schritte, die für höhere Geschwindigkeit sorgen könnten.
Wie die Beschleunigung aussehen könnte, zeigte eine Diskussion, die just in diesem Jahr aus
den Expertenkreisen in die Öffentlichkeit geschwappt ist: Ein genereller CO₂-Preis soll
überall dort anfallen, wo Klimagase freigesetzt werden, egal wie, egal von wem. Statt des
bisherigen hilflosen Klein-Kleins aus Regulierung, Subvention und Quotierung würde einfach
jeder, der die Atmosphäre auf Kosten der Allgemeinheit belastet, zur Kasse gebeten.
Umweltverschmutzung mit einem Preisschild zu versehen und auf den Spardrang der Verschmutzer
zu setzen: Das könnte dem Klimaschutz, dem es so beklagenswert an Tempo fehlt, endlich Anschub
geben.
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