Ehrlich gesagt träume ich nicht besonders gern. In Phasen, in denen ich an einem Film arbeite, habe ich ständig fürchterliche Albträume. Egal, wie gut ein Drehtag verlaufen ist, nachts in meinen Träumen geht alles schief, jede Nacht. Da stehen dann Schauspieler und Kameraleute an meinem Bett und bestürmen mich mit Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Manchmal weiß ich nicht mal, von welchem Film sie reden. Das führt dazu, dass sich nach einiger Zeit die Realitätsebenen vermischen. Es fühlt sich an, als sei ich 24 Stunden am Tag mit dem Film beschäftigt. Das ist sehr kräftezehrend. Wenn man bedenkt, wie viele Jahre meines Lebens die Arbeit an
Der Herr der Ringe
und
Der Hobbit
in Anspruch genommen hat, versteht man vielleicht, dass ich kein großer Freund dieser Art des Träumens bin.
Der Grund für meine Albträume ist die enorme Verantwortung, die jeder Film mit sich bringt. Ich habe zwar große Spielräume, aber die Studios geben mir das Geld ja nicht, damit ich damit spielen und mir meine Träume erfüllen kann. Sie erwarten, dass sich ihre Investition rentiert. Arbeitsplätze, Schicksale hängen davon ab, ob ich meine Arbeit gut mache. Das bereitet mir eine Heidenangst. Bis heute habe ich keinen Film ohne diese Angst gedreht.
In meiner Kindheit war ich in gewisser Weise ein Sonderling. Ich war ein Einzelkind und habe viel Zeit allein verbracht. Da waren Tagträume sehr wichtig für mich. Heute bin ich dafür dankbar. Denn unsere Vorstellungskraft funktioniert ähnlich wie ein Muskel: Man muss sie trainieren, damit sie größer und stärker wird. Dazu hatte ich in meiner Kindheit reichlich Gelegenheit. Schon früh habe ich begonnen, an den Wochenenden mit Freunden meine ersten Filme zu drehen. Noch heute bestimmen die Tagträume, die ich als acht- oder neunjähriger Junge hatte, meine Entscheidungen und Projekte. Als Träumer bin ich wohl nie über dieses Entwicklungsstadium hinausgekommen – aber das ist in Ordnung für mich.
Zum Beispiel bin ich seit meiner Kindheit vom Ersten Weltkrieg fasziniert und sammle historische Objekte aus dieser Zeit. Mein Großvater, den ich nie kennengelernt habe, war Engländer und hat im Ersten Weltkrieg gekämpft. Bei uns zu Hause gab es viele Fotos von ihm in Uniform, und mein Vater hat mir Geschichten von ihm erzählt. Mein Vater hatte auch viele Bücher über den Ersten Weltkrieg. Schon bevor ich lesen konnte, habe ich mir oft die Fotos in diesen Büchern angesehen. In meiner kindlichen Fantasie ist das alles verschmolzen, und so war ich dann überzeugt, dass der Soldat auf einem der Buchcover mein Großvater war.
Diese Faszination hält bis heute an. Daher träume ich davon, einen britischen Mark-IV-Panzer aus dem Jahr 1917 zu besitzen. In Großbritannien gibt es noch einige wenige davon. Einen Mark-IV-Panzer zu haben und in dem Museum in Neuseeland ausstellen zu können, dem ich schon viele Exponate aus meiner Sammlung zur Verfügung gestellt habe – das wäre ein Traum. Für mich wäre das das perfekte Weihnachtsgeschenk.
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