“Wir hatten
keinen Anhaltspunkt dafür, dass Chérif C. einen Terroranschlag ausüben würde.” Das
sagte Laurent Nuñez, Staatssekretär im französischen Innenministerium, über den mutmaßlichen Attentäter des Straßburger Weihnachtsmarkts.
Der 29-Jährige war unter den Fiches S gelistet, das ist die französische Gefährderdatei. Doch er ist “nie
mit einem terroristischen Akt in Verbindung gebracht worden”, sagte Nuñez.
Und wie nach früheren Anschlägen diskutiert man in Frankreich
nun wieder darüber, wie es eigentlich sein kann, dass bekannte Gefährder Anschläge
verüben. Bis auf den Lkw-Anschlag von Nizza waren
alle Attentäter der vergangenen Jahre der Polizei bekannt, sie alle wurden als
potenziell gefährlich betrachtet. Hat sich Chérif C. gut getarnt? Haben die Behörden schlampig
gearbeitet?
Die Dschihadistenmiliz
“Islamischer Staat” teilte am Donnerstagabend über ihr
Propagandasprachrohr Amaq mit, Chérif C. sei ein Soldat des IS gewesen. Er sei dem Aufruf gefolgt,
Bürger aus Mitgliedstaaten der Anti-IS-Koalition
in Syrien und im Irak anzugreifen. Und auch wenn es bisher keine verlässlichen
Hinweise darauf gibt, dass Chérif C. tatsächlich in Verbindung zum IS stand, so
ist trotzdem klar: Die französischen Behörden haben den Mann falsch
eingeschätzt. Ob er nun aus religiösem Fanatismus oder aus persönlichen Motiven, vielleicht sogar im Affekt
handelte, er war gefährlicher, als der französische Geheimdienst dachte.
Chérif C. war ein Krimineller mit langer Vorgeschichte. Doch das machte ihn noch nicht zum potentiellen Terroristen. Im Januar 2016 wurde er von den Behörden das erste Mal als “möglicherweise radikalisiert” registriert. Er war im Gefängnis aufgefallen, unter anderem soll er versucht haben, Mithäftlinge zu seinem Glauben zu bekehren. Sein Name
landete im Hinweisverzeichnis zur Prävention der terroristischen
Radikalisierung. Das ist eine Datei, in der alle
Personen erfasst sind, die in jedweder Form mit dem Dschihadismus in Verbindung gebracht
werden. Zurzeit sind es etwa 20.000. Sie haben aber noch nicht unbedingt einen Vermerk im Fiche S. Nur besorgniserregende Fälle
landen beim französischen Inlandsgeheimdienst DGSI, der diese Eintragung vornimmt.
Für die Sicherheit des Staates gefährlich
So war es auch bei Chérif C., für den der DGSI wenige Monate später, im Mai 2016, eine Fiche-S-Datei ausstellte. Das S steht für sûreté de l’Etat, also Sicherheit des Staates, und ist eine von 21
Unterkategorien des französischen Registers der gesuchten Personen, das fichier des personnes recherchées FPR. Es
existiert seit 1969 und wurde ursprünglich geschaffen, um die Bewegungen
von Diplomaten zu beobachten. Anschließend wurde es Schritt für Schritt ausgebaut. Inzwischen enthält es etwa 400.000 Namen. Wobei
die Bezeichnung “gesuchte Personen” irreführend ist, da nicht alle Personen
tatsächlich zur Fahndung ausgeschrieben sind.
Das FPR beinhaltet Kategorien wie weggelaufene
Minderjährige, aus dem Gefängnis ausgebrochene Straftäter, Menschen, die das Staatsgebiet
nicht verlassen dürfen, Steuerschuldner oder eben auch Menschen, die für die
Sicherheit des Staates gefährlich werden könnten, die Gefährder.
Anders als etwa bei ausgebrochenen Straftätern oder Steuerschuldnern gibt es jedoch bei den Gefährdern keinen offensichtlichen, bewiesenen Grund für einen Eintrag. Sie landen aufgrund eines polizeilichen Verdachts in der Datei. Unter Umständen haben sie nie eine Straftat oder auch nur eine Ordnungswidrigkeit begangen.
Als Gefährder gelten nicht nur Islamisten, sondern auch, wer als rechts- oder
linksextrem eingestuft wird, wer zum Beispiel auf einer Demonstration mit
Steinen wirft. Aber auch, wer einfach als besonders engagierter Klimaaktivist auffällt. Oder wer sich im Umfeld eines Terroristen bewegt hat oder mit einem verwandt ist. Die genaue Zahl der Fiches-S–Vermerkegibt
das Innenministerium ungern heraus, französische Medien berichten, dass zurzeit etwa 26.000 Menschen registriert seien. Rund 12.000 von ihnen werden mit einem islamistischen Hintergrund in
Verbindung gebracht.
In der Akte stehen Name, Familienstand, die Gründe für
die Erfassung und eine Handlungsempfehlung, wie sich Polizisten verhalten
sollen, wenn sie bei einer Kontrolle auf eine Person mit S-Eintrag stoßen. Für
eine genauere Einschätzung des Gefahrenpotenzials gibt es 16 Unterkategorien,
S1 bis S16. Unter S14 beispielsweise werden Dschihadisten klassifiziert, die
aus dem Irak oder Syrien zurückkehren.
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