Es ist purer Zufall und doch ein bezeichnendes Zusammentreffen, dass in diesen Dezembertagen in Frankreich zwei Themen immer wieder die Schlagzeilen bestimmen. Oft tun sie das sogar auf derselben Titelseite der Tageszeitungen oder hintereinander weg in Radio- und Fernsehnachrichten. Da ist einmal die Verhaftung und Anklage des mächtigen französischen Automanagers Carlos Ghosn in Japan, wo er jahrelang falsche Angaben zu seinem üppigen Verdienst gemacht haben soll. Und da sind zum anderen die anhaltenden Proteste der Gilets Jaunes, die in ihren leuchtend gelben Warnwesten gegen die ungerechte Verteilung der Einkommen demonstrieren.
Als hätten sie noch einer Rechtfertigung für ihren Aufruhr bedurft, deuten die Gelbwesten mit den Fingern auf wohlhabende Mitbürger wie Ghosn und würden Staatschef Emmanuel Macron am liebsten auch gleich ins Gefängnis sperren. Der von ihnen als Präsident der Reichen beschimpfte Hausherr im Elysée-Palast gibt ihrer Meinung nach denen, die ohnehin schon viel haben, und nimmt jenen, die nicht wissen, wie sie am Ende des Monats noch den Kühlschrank füllen sollen. “Macron Prison” – Macron ins Gefängnis – reimt sich auf den Transparenten derzeit genauso gut wie “Macron Démission” – Macron Rücktritt.
Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit stellt sich nicht in Frankreich allein. In dem Land, das Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit seit der Revolution von 1789 wie ein Banner vor sich herträgt, wird darüber aber mit besonderer Vehemenz diskutiert. Und kaum irgendwo schafft die vermeintliche oder tatsächliche Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe eine so tiefe Kluft. “Frankreich ist eine Klassengesellschaft,” sagt die gebürtige Remscheiderin Sabine Thillaye, die seit 2017 für Macrons Partei LREM im französischen Parlament sitzt. Erst durch ihre politische Tätigkeit sei sie mit Menschen in Kontakt gekommen, “die mir vorher nicht die Hand gereicht hätten”.
Die 59-Jährige führte zusammen mit ihrem französischen Mann eine Firma und war Mitglied im Unternehmerverband Medef. “Der ist ja für manche ein rotes Tuch. Wenn ich früher zu Mitarbeitern gesagt habe, lasst uns doch nach Feierabend zusammen noch ein Bier trinken, dann schauten die mich mit großen Augen an. So etwas ist in Frankreich überhaupt nicht üblich.”
Macrons wollte, dass sich Arbeit lohnt
Die da oben, wir da unten – und dazwischen eine große Missgunst. Macron wollte damit brechen, verhedderte sich aber gleich in den konträren Theorien, wie viel Umverteilung durch welche Maßnahmen der Gesellschaft gut tut.
Die Umverteilung zu Lasten der Reichen habe weder Armut noch Arbeitslosigkeit verhindert, urteilte der Präsident. Schließlich verteilte statistischen Erhebungen zufolge Frankreich zuletzt mehr um als viele andere westliche Staaten und steht innerhalb der Industrieländerorganisation OECD mit 3,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an der Spitze der Sozialausgaben. So schrumpfte nach Berechnungen des nationalen Statistikamts Insee die Einkommenskluft zwischen den 20 Prozent reichsten und den 20 Prozent ärmsten Franzosen: Hatten die Reichen vor der Umteilung 8,4-mal so viel Geld zur Verfügung, war es danach nur noch 3,9-mal so viel.
Unter Macrons Führung sollte sich vor allem Arbeit lohnen und ins Ausland verbrachtes Kapital zu Hause in Innovationen und die Schaffung von Arbeitsplätzen investiert werden. Also schaffte er als eine der ersten Maßnahmen die bei liberalen Ökonomen als leistungsfeindlich geltende Vermögenssteuer fast gänzlich ab, senkte die Kapitalertragssteuer von ursprünglich bis zu 62 Prozent auf eine Flat-Tax von 30 Prozent und versprach zudem, die Steuern auf Unternehmensgewinne während seiner Amtszeit bis 2022 von 33 auf 25 Prozent zu drosseln.
Arbeitnehmer entlastete er zum vergangenen Jahreswechsel von sämtlichen Krankenversicherungsbeiträgen, die bis dahin 0,75 Prozent des Gehalts betrugen. In zwei Schritten fielen bis zum vergangenen Oktober auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weg. Diese hatten ursprünglich 2,4 Prozent betragen. “Macrons Mut ist der Mut, zu investieren,” lobte der Ökonom Elie Cohen. Frankreich habe seit Jahren Investoren durch zu hohe Steuern und Abgaben vergrault.
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