Wie wir uns einrichten und mit welchen Dingen wir uns umgeben, das
sagt genauso viel über uns aus wie die Kleidung, die wir tragen. In
unserer Serie “Innenleben” ergründen wir aktuelle Wohntrends.
Natürlich ist mit dem Satz alles gesagt: “Früher war mehr Lametta”, aus dem Loriot-Sketch Weihnachten bei Hoppenstedts von 1976. Ungefähr seit dieser Zeit wird Lametta als spießiges Schmuckelement am Christbaum stigmatisiert. Es sieht eben zu sehr nach guter Stube und biederem Nachkriegsfamilienleben aus, wie ein Glanzbildchen von gestern mit Schürze und Schnittchenplatte.
Lametta scheint nicht mehr zu den skandinavischen Holzanhängern in Pferdchenform und Strohsternen zu passen, die heute als höchst geschmackvoll gelten. Und ebenso wenig zu den wenigen akzentuiert angebrachten Glaskugeln, die die natürliche Schönheit der Tanne betonen sollen. Dabei sind die oft wirklich geschmacklos, denn mittlerweile kann man sich auch Kugeln in Form von Burgern, Pizzas oder Cadillacs an den Baum hängen. So weit sind wir also gegangen in unserem Versuch, die Künstlichkeit des Lamettas zu verbannen. Ist das nicht alles nur ein Missverständnis? Schließlich ist Lametta ja gedacht als Zitat der Natur, die herabhängenden Fäden sollen glitzernde Eiszapfen symbolisieren. Was nur in elegantem Silber geht, nicht in protzigem Gold.
Dass Lametta heute so unbeliebt ist, hat damit zu tun, dass es als umweltschädlich gilt. Der in sehr schmale Streifen geschnittene Grundstoff Stanniol besteht aus Zinn, hatte aber teilweise im Kern einen Anteil von Blei, um das Lametta weniger flatterig zu machen und gewichtiger vom Ast rieseln zu lassen. Ja. Sollte man nicht in die Landschaft werfen. Muss man aber auch nicht.
Denn mit der Umweltschädlichkeit von Lametta verhält es sich so ähnlich wie mit dem Umweltbewusstsein von Menschen, die mit dem SUV zum Biosupermarkt fahren. Für beides gilt: Wenn man nicht darüber nachdenkt, kommt nichts Gutes dabei raus. Es spricht aber nun mal genauso wenig dagegen, die Dinkelkrusties und Doppelsemmeln mal nicht mit dem Auto zu holen – wie dafür, den Weihnachtsbaum ordentlich abzuschmücken. Und dann erst auf die Straße zu werfen, wie es in Berlin Sitte ist.
Das heißt: Auch die flirrenden Streifchen sollten nach dem Fest abgelaust werden. Werden sie nur nicht, und dass das Glitzern heute nicht mehr vom Lametta kommt, sondern vom metallisierten Kunststoff – genauer gesagt, von biaxial orientierter Polyesterfolie –, macht die Sache nur bedingt besser. Das ist nämlich ein Material, das in seiner knittrigen Kitschigkeit geradezu danach verlangt, nach einmaliger Verwendung entsorgt zu werden.
Lametta hingegen kann man einfach mit den Händen glattkämmen, in den Kartonumschlag legen und über Jaaaaaaahre wiederverwenden. Nachhaltigkeit heißt das heute – früher wurde das Lametta zwischen Butterbrotpapier wieder aufgebügelt. Das würde sich wieder lohnen, weil echtes Lametta nicht mehr hergestellt wird. Im Dezember 2015 hat der letzte deutsche Hersteller, Riffelmacher & Weinberger aus Mittelfranken, die Produktion eingestellt, aus dem Ausland kommt auch nichts, es bleiben nur Altbestände auf Flohmärkten und Internetplattformen übrig.
Die Berichte über Großmütter, die vor Heiligabend das Lametta bügeln, klingen heute geradezu biedermeierlich. Aber eigentlich hatten sie es mit dem No-Waste-Prinzip ganz gut drauf. Gespart wurde eben an der richtigen Stelle. Das Lametta an sich muss nämlich unbedingt verschwenderisch angebracht werden. Es sieht nur mit der richtigen Technik gut am Baum aus. Einzelne Fäden zwischen den Tannennadeln einzuarbeiten – das ist echt spießig, sparfuchsartig und weihnachtsunwürdig. Der gleißende Eiszapfeneffekt stellt sich so garantiert nicht ein.
Lametta muss also in großzügiger Menge über die Zweige geworfen werden, und zwar aus dem Handgelenk. Die richtige Bewegung dafür ist der lässige Schwung, mit dem sich eine mit ihren langen Haaren sehr zufriedene Frau durch dieselben streicht. Lametta mag nach gestern aussehen. Aber der Hang zur Discofrise steckt genauso in ihm.
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