Ein Geburtstag steht an, eine Hochzeit, eine freundliche Abendeinladung
und alle Jahre wieder: Weihnachten. Schon rattert der Kopf: Was soll ich schenken? Was ist
überhaupt sinnvoll, was angemessen? Eine Frage stellen sich viele nur insgeheim, weil sie
etwas Unanständiges hat: Wäre das Leben nicht viel einfacher, wenn wir nichts schenkten? Warum
macht der Mensch überhaupt Geschenke?
“Weil er muss”, sagt der Soziologe Holger Schwaiger trocken. Das ist irgendwie unbefriedigend. Tatsächlich kann die Wissenschaft bis heute nicht erklären, wie das Ritual des Schenkens in die Welt kam. Anthropologen, Philosophen, Historiker, Soziologen haben sich an einer Antwort versucht. Alles in allem vergeblich.
Das Schenken beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden. Ganz vorn dran mal wieder: Aristoteles. Er schrieb in seiner
Nikomachischen Ethik,
die Kunst bestehe darin, “an der richtigen Stelle, im richtigen Ausmaß, zur richtigen Zeit” ein Geschenk zu machen. Ach, mein lieber Aristoteles. Wenn das so einfach wäre!
Das richtige Maß zu finden scheint heute schwerer denn je. Allein in den USA summiert sich der Wert von Geschenken, über die sich die Beschenkten nicht freuen können, auf 16 Milliarden Dollar pro Jahr. Rabatt-Tage wie der Black Friday Ende November heizen das Einkaufen noch an. Und dank des Design-Booms der vergangenen 20 Jahre lässt sich heute alles Lebenspraktische in veredelter Ästhetik noch einmal verschenken. Verblüffende Lampen, raffinierte Kerzenhalter, künstlerisches Geschirr, dazu die berüchtigten “Stell-hinchen und Staub-einchen”, die für einen winzigen Augenblick witzig sind – muss das wirklich sein?
Andererseits: Die leuchtenden Augen eines Kindes, die unverfälschte Freude einer Freundin über ein schönes Geschenk sind ein wunderbares Erlebnis, das niemand missen möchte. Eine Welt ohne Geschenke wäre praktischer, aber unendlich nüchterner. Wie aber können wir aus dem Müssen ein Wollen machen? Auf dass der Schenkende das Gefühl hat, kein Ritual erfüllt, sondern einen Pfad zum Beschenkten gefunden zu haben, der beide verbindet?
Der Pfad der Wünsche
In Gesprächen mit Freundinnen und Freunden stellt sich schnell heraus: Die Königsdisziplin des Schenkens ist etwas zu finden, das der andere sich wünscht. Denn in einem derartigen Geschenk wird sichtbar, dass man den anderen Menschen wirklich meint, dass man ihm oder ihr zugehört hat, aufmerksam gewesen ist.
Als Kinder haben meine Geschwister und ich begeistert Wunschzettel geschrieben, wenn das Weihnachtsfest nahte. Die Eltern wussten allerdings ohnehin schon, was wir uns wünschten, weil wir im Laufe des Jahres davon geschwärmt hatten. Diese ständige Aufmerksamkeit ist eine Kunst, die vielen von uns immer schwerer fällt. Nicht aus Gedankenlosigkeit – wir sind einfach nicht mehr tagein, tagaus zusammen, sodass wir dem anderen heimlich über die Schulter schauen könnten.
Wir könnten uns mit gemeinsamen Freunden beraten: Hast du zuletzt etwas gehört? Doch oft genug wissen auch sie nichts zu sagen. Wir könnten Facebook oder Instagram nach impliziten Wünschen durchforsten. Wir könnten uns aber auch auf das direkte Gespräch besinnen.
Die Kunst des Gesprächs bestehe nicht darin zu sagen, wer man selbst sei, sondern zu fragen: Wer bist du?, sagt der britische Historiker Theodore Zeldin, der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Konversation beschäftigt. Bei einem Gespräch gehe es darum, etwas über den anderen zu lernen. Für Zeldin steht die Kunst des Gesprächs noch am Anfang, weil die Menschheit noch nicht zu schätzen gelernt habe, dass der Gesprächspartner rätselhaft ist, in seiner Rätselhaftigkeit aber eine Quelle der Inspiration steckt.
Der Pfad der Wünsche führt also nicht nur dazu, einem Menschen etwas zu schenken, was er wirklich will, sondern nebenbei auch zu einer Übung in der Kunst des Gesprächs und des aufmerksamen, vorurteilslosen Zuhörens. Auf diesem Pfad wird der Schenkende selbst beschenkt. Das Geschenk geht über die reine Gabe hinaus und wird zum Ausdruck einer sich vertiefenden Verbindung zwischen zwei Menschen.
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