Nach langem Streit hat sich die Regierung auf einen Kompromiss zum Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche geeinigt. Was wurde vereinbart und warum war das so schwierig?
Worum geht es?
Auch wenn in der Öffentlichkeit gelegentlich ein anderer Eindruck entstand: Die aktuelle Diskussion drehte sich nicht um eine Lockerung des deutschen Abtreibungsrechts. An diesem ändert sich nichts. Bei dem Streit ging es um den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches. Dieser schreibt vor, wie Ärztinnen und Ärzte über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen und was als neutrale Information und was als strafbare Werbung verstanden werden kann.
Laut dem sogenannten Werbeverbot in Paragraf 219a Strafgesetzbuch ist es untersagt, einen Schwangerschaftsabbruch oder Mittel, die ihn befördern, “anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen” – wenn dies in “grob anstößiger Weise” oder aus kommerziellem Interesse geschieht. Verstöße können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden.
Die SPD wollte diesen Paragrafen ganz streichen, die Union auf keinen Fall. Nun haben sich die vier zuständigen Minister der großen Koalition – Horst Seehofer, Jens Spahn, Katharina Barley und Franziska Giffey – auf einen Kompromiss verständigt.
Wie sieht der Kompromiss aus?
Der Paragraf 219a wird nicht gestrichen, es bleibt dabei: Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist verboten. Damit hat sich die Union durchgesetzt. Die SPD hat aber erreicht, dass Frauen künftig besser darüber informiert werden sollen, welche Ärzte und Kliniken Abtreibungen vornehmen. Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen Schwangere mit Informationsmaterial versorgen. Dieser Informationsauftrag soll gesetzlich verankert werden. Zudem soll rechtlich ausformuliert werden, dass Ärzte wie Krankenhäuser über die Tatsache informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Der Paragraf 219a soll entsprechend ergänzt werden. Vereinbart wurde darüber hinaus eine Studie zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen.
Der Präzedenzfall: Kristina Hänel
Ausgangspunkt für die Debatte war der Fall der Gießener Hausärztin Kristina Hänel. Ende November 2017 verurteilte das Amtsgericht Gießen sie wegen eines Eintrags auf ihrer Homepage zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro. In dem Internetauftritt ihrer Arztpraxis aus dem Jahr 2015 hatte Hänel Frauen über einen Link Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch zukommen lassen. Dabei gab die Ärztin auch an, Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis vorzunehmen. Weil die Ärztin ein Honorar für einen solchen Eingriff erhält, sah die bisherige Rechtsprechung dahinter ein “kommerzielles Interesse” im Sinne des im Paragrafen 219a festgelegten Werbeverbots.
Grüne, Linke, aber auch SPD und FDP setzten sich im Folgenden für eine Abschaffung oder Änderung des Paragrafen ein. Sie argumentierten, dass diese
restriktive Auslegung des Werbeverbots die Möglichkeiten für schwangere Frauen einschränkt, sich über eine Abtreibung zu
informieren. Die Gerichte hätten durch die schwammige Formulierung des
Straftatbestandes in Paragraf 219a einen “Interpretationsspielraum”, was zu “Rechtsunsicherheit” und Verunsicherung der Ärztinnen und Ärzte führe, argumentierte die SPD. Auch wer nur neutral informiere, verstoße womöglich schon gegen das Werbeverbot.
Hänel zeigte sich mit dem Kompromissangebot unzufrieden. Es sei eine “Nullnummer”, hieß es in einer Erklärung von Hänel und sie unterstützenden Ärzten am Mittwoch. Der Paragraf 219a bleibe komplett bestehen inklusive seiner Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis. Bei den restlichen Vorschlägen handele es sich um flankierende Maßnahmen, die auch heute schon möglich seien.
Warum war die Suche nach einer Lösung so schwierig?
Der Streit war von Anfang an moralisch aufgeladen. Die SPD sah in dem Paragrafen eine unzulässige Einschränkung der Rechte von Frauen in einer schweren Konfliktsituation und behauptete, Ärzte, die Abtreibungen anbieten, würden “kriminalisiert”. Die Union sah dagegen den Schutz des ungeborenen Lebens in Gefahr – und fürchtete durch eine Änderung einmal mehr die konservativen Kreise zu verprellen, die sich in den vergangenen Jahren in der Union ohnehin schon marginalisiert gefühlt hatten. Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer legte sich deswegen fest:
“Schwangerschaftsabbrüche dürfen nicht so behandelt werden wie ganz
normale medizinische Eingriffe. Das passt nicht zu einer Partei mit dem C
im Namen.” Und: “Das Werbeverbot soll und darf nicht abgeschafft
werden.” Für sie war es also besonders wichtig, dass die Unionsminister an dieser Stelle nicht weich werden würden. Sonst wäre entweder ihre Glaubwürdigkeit beschädigt gewesen oder sie hätte ihren ersten Konflikt mit der Regierung wagen müssen. Mit dem Kompromissvorschlag zeigte sie sich zufrieden.
Ist der Streit nun beendet?
Die beiden Fraktionschefs Ralph Brinkhaus (CDU) und Andrea Nahles (SPD) begrüßten, dass es einen Kompromissvorschlag gebe. Allerdings betonten beide auch: “Wir werden jetzt den genauen Gesetzestext abwarten und sodann im Januar in unseren Fraktionen bewerten, beraten und darüber entscheiden.” Das wird nun die spannende Frage sein: Stellen sich die Abgeordneten hinter den Entwurf? Auf der Unionsseite dürfte das wohl der Fall sein. Schließlich hat die Union sich mit der Beibehaltung des Paragrafen weitgehend durchgesetzt.
In der SPD könnten dagegen viele finden, dass eine Ergänzung nicht ausreiche. Schon bisher gab es in der SPD Bemühungen, sich für eine Freigabe der Abstimmung einzusetzen. So forderten der Chef der nordrhein-westfälischen SPD, Sebastian Hartmann, und der Bundestagsabgeordnete Florian Post, die Frage ähnlich wie bei Gesetzen zur Präimplantationsdiagnostik, zur Sterbehilfe oder zur Ehe für alle zu einer Gewissensentscheidung zu machen. Gemeinsam mit Grünen, FDP und Linken könnte die SPD dann eine liberalere Regelung umsetzen als den jetzigen Kompromiss. Grüne und FDP haben bereits eigene Gesetzentwürfe erstellt.
Was sagen die Beratungsstellen?
Frauen, die eine Abreibung vornehmen lassen wollen, müssen sich vorher beraten lassen. Dies passiert in Beratungsstellen, die dann auch eine entsprechende Bescheinigung ausstellen, die die Voraussetzung für den tatsächlichen Abbruch ist. Dort wurde auch bisher schon über Ärzte informiert, die den Abbruch vornehmen. Die staatlich anerkannte katholische Organisation donum vitae etwa lehnte eine Gesetzesänderung deswegen bisher ab. In einer Pressemitteilung war von “gesetzgeberischem Aktionismus” die Rede. Donum vitaee glaubt, dass die bisherige Regelung das Recht der Frauen auf freie Arztwahl nicht einschränke.
Anders sieht das die Organisation pro familia. “Frauen sollten Informationsfreiheit haben”, sagt die Sprecherin Regine Wlassitschau. Ihre Organisation bietet 180 Beratungsstellen in Deutschland an, und am Ende jeder Schwangerschaftskonfliktberatung auch Adressen für einen möglichen Abbruch. Manche Frauen wollen sich eben schon früher über Ärzte informieren, die Abtreibungen vornehmen, sagt Wlassitschau. Dies wäre mit der Neuregelung möglich.
Pro familia weist außerdem darauf hin, dass auch die Information über die Beratungsstellen nicht überall sichergestellt sei. So weise die Bayerische Landesregierung öffentlich geförderte Beratungsstellen regelmäßig darauf hin, dass sie keine Adresslisten von Ärzten an ungewollt Schwangere weitergeben dürften. Hintergrund ist nicht der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch, sondern ein Passus im Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz, zu dem es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Eine besagt, dass nur Krankenkassen und Gesundheitsbehörden eine Ärzteliste weitergeben dürften, nicht die staatlich anerkannten Beratungsstellen.
Für Ostbayern gibt es laut pro familia keine Möglichkeit, solche Listen zu erstellen. Dort führt derzeit keine Klinik Schwangerschaftsabbrüche ohne medizinische Notwendigkeit durch.
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