Annegret Kramp-Karrenbauer bringt alles mit, was eine gute CDU-Chefin braucht. 517 der 999 Delegierten auf dem CDU-Parteitag in Hamburg sehen das so.
Sie gaben ihr den Vorzug vor Jens Spahn und Friedrich Merz. Weil ihre Kandidaturnahbar und fehlerfrei war. Weil die CDU sich mit ihr zurück in eine Zeit des Konsenses träumt. Eine Zeit, in der es noch einfacher war, es vielen recht zu machen.
Kramp-Karrenbauer ist Parteichefin geworden, weil sie die Inkarnation der CDU und ihrer drei Wurzeln ist, christlich-sozial, liberal und konservativ: Sie sitzt im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, aber hat die meisten Modernisierungsschübe der Merkel-CDU aus Überzeugung mitgetragen. Der oft bemühte Vorwurf, sie sei Wiedergängerin der Kanzlerin und habe den Konservativen in der Partei nichts zu bieten, ist allerdings nicht haltbar. Die Ehe für alle lehnt sie ab, schwer straffällig gewordene Flüchtlinge will sie nach deren Abschiebung lebenslang aus dem Schengen-Raum verbannen. Abschiebungen nach Syrien sind für sie kein Tabu. Und während im Bund noch heftig über das Thema gestritten wurde, ließ Kramp-Karrenbauer als Ministerpräsidentin im Zweifel minderjährige Flüchtlinge röntgen, um ihr Alter zu bestimmen.
Die Zeit der 40-Prozent-Volksparteien ist vorbei
AKK, wie sie gerufen wird, hat Regierungserfahrung – und ihr gemütliches und lukratives Ministerpräsidentinnenamt im Saarland aufgegeben, um als Generalsekretärin nach Berlin zu pendeln, weg von der Familie. Dass sie sich stets in den Dienst der Partei gestellt hat, haben ihr viele hoch angerechnet.In diesem Jahr als Generalsekretärin ist sie fleißig durch die Ortsvereine getourt, so was bringt Respekt.
Sie hat angefangen, ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben, und dabei die ersten inhaltlichen Regungen der CDU seit Jahren ausgelöst, als sie einen (sozialen oder militärischen) Pflichtdienst für alle Deutschen ins Gespräch brachte.
AKK hat also bewiesen, dass sie jeden Winkel einer 40-Prozent-Volkspartei bespielen kann. In einem Deutschland mit den Bedingungen von 2010 wäre AKK unschlagbar. Doch diese Zeit ist vorbei, unwiederbringlich.
Die Wahl der vermeintlichen Nummer-sicher-Kandidatin ist für die CDU daher auch ein Risiko.
Volkspartei wird, wer groß ist. Voraussetzung dafür war lange der Inhalt. Eine Partei musste sich an möglichst viele Schichten wenden und mit einem breiten Programm für viele wählbar werden. Das funktioniert nicht mehr. Zu dispers sind die deutschen Öffentlichkeiten, zu heterogen die Milieus, zu volatil und mäkelig ehemalige Stammwähler.
Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein – der Satz wird Kurt Tucholsky zugeschrieben. Er gilt, ganz besonders in einem Bundestag mit sieben Parteien. Da sitzen präpotente Grüne, profilneurotische Christsoziale und zornige Rechtspopulisten. Unter den Bedingungen der Echtzeitempörung sind die externen Schocks groß. Der Grat zur Gefallsucht ist schmaler geworden. So viele Strömungen zu integrieren und zu harmonisieren, damit daraus eine Volkspartei im inhaltlichen Sinne reifen könnte, ist schwer wie nie.
Merz, der Kandidat für den Zeitgeist
Die Volkspartei befindet sich daher in einer dialektischen Situation: Um wenigstens wieder in die Nähe der Größe zu kommen, also über 30 Prozent, muss die CDU die Beliebigkeit ihrer Volksparteirhetorik abstreifen – sonst wird es ihr ergehen wie der SPD. Die spricht nur noch wie eine Volkspartei, verschwimmt deshalb in der Wahrnehmung zur Für-alles-und-nichts-Partei. Konsequenz: Sie verzwergt. Die Grünen machen es besser. Sie wenden sich mit einem sehr spezifischen und im Wortsinne exklusiven Angebot perfekt an ihre Klientel und wachsen so gerade zur zweiten Kraft im Bund.
Mit Friedrich Merz hätte die CDU es unter den Umständen, die da am Ende der Epoche Merkel aufziehen, kurzfristig vielleicht einfacher gehabt. Er repräsentiert den wohlhabenden, weißen, heterosexuellen Mann aus Westdeutschland – wofür er übrigens ausgerechnet im Osten gefeiert wird. Er wäre der streitbare, und schon jetzt höchst umstrittene, Zeitgeistkandidat gewesen in einem System ohne echte Volksparteien, dafür mit mehreren nach innen homogenen und untereinander äquidistanten Machtblöcken.
Kramp-Karrenbauer war in allen Umfragen die in der Bevölkerung und unter CDU-Anhängern beliebteste – weil unanstößigste – Kandidatin. Will sie auch die nächsten Wahlen gewinnen, Europawahl und Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo die Gegner nicht Merz und Spahn, sondern die AfD und die Grünen sind, wird sie zumindest Letzteres ändern müssen.
Ob ihr das gelingt? Der Typ für bedingungslosen Angriff ist sie nicht, das wäre auch nicht authentisch, so hat sie es in ihrer Bewerbungsrede noch mal klargemacht. Diese wohl wichtigste Rede ihrer Karriere war aber durchaus kämpferisch und bisweilen eigenwillig, unverzagt trotz des hohen Drucks und wohl eines Millionenpublikums.“Wir sind kein politischer Gemischtwarenladen”, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer darin über ihre Partei. Wenn sie das ernst nimmt, wird sie wirklich die Bewahrerin von Merkels Erbe.
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