Audrey Orsini, 35 Jahre, Krankenschwester
“Es wurde Zeit für die Gelbwesten. Das Volk wird da oben
nicht mehr gehört. Der jetzige Protest ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten
fällig. Macron ist der Präsident der Reichen, das hat er lange vorher mit
seinem Programm angekündigt. Keine Ahnung, warum ihm erst so zugejubelt wurde,
dieser Mann ist ein ehemaliger Banker und kein Weltverbesserer. Macrons
Regierung hat keine Ahnung von unserer täglichen Misere. Jetzt haben sie die
Benzinsteuer ausgesetzt, aber wir wollen, dass alle Steuern gerechter verteilt
werden. Warum nicht mal die Kfz-Steuer drastisch für diese dicken Schlitten
erhöhen?
Als selbstständige Krankenschwester arbeite ich viel und auch
am Wochenende. Aber ich komme nur gerade so über die Runden, kann nichts für
meine sicherlich niedrige Rente beiseitelegen. Seit 2012 ist unser Stundenlohn
bei den Krankenkassen nicht mehr angehoben worden. Sechs Jahre, in denen die
Politiker immer mehr verdienen. Ich wünschte, sie würden mal eine Woche meinen
Job machen. Dann wüssten sie auch, wo Frankreich in der Medizin wirklich sparen
könnte: beispielsweise bei den Medikamentenpackungen, die immer viel zu viele
Pillen oder Spritzen für die Patienten erhalten. Was ich da wegschmeißen muss,
ist ein Vermögen wert. Aber die Pharmaindustrie wehrt sich erfolgreich gegen
maßgeschneiderte Dosen – und so wird halt an den Pflegerinnen und
Krankenschwestern gespart. Wenn die Lobbys nicht so stark wären, hätten wir
sehr viel Geld im Gesundheitswesen zu verteilen. Hört uns an, dann wisst ihr
auch, wo Geld herkommen kann! Stattdessen wird es immer stumpf bei den Menschen
eingetrieben, und die Konzernchefs lachen sich scheckig.
Am liebsten würde ich am Samstag mit protestieren, aber ich
habe einen zweijährigen Sohn. Weil jetzt immer auch ein paar Krawallmacher mit demonstrieren, ist mir das zu gefährlich mit ihm. Also habe ich wenigstens
meine Gelbweste über den Beifahrersitz gezogen.”
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