/Männlichkeit: Was Männer aggressiv macht

Männlichkeit: Was Männer aggressiv macht

Gerade steht er wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit: der Mann. Als Täter
und Bedrohung, als latente Gefahrenquelle, die nur durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen unter
Kontrolle zu halten ist. Das gilt vor allem dann, wenn “Er” in der Mehrzahl auftritt. “Junge
Männerhorden” seien “das Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht hat”,
befand kürzlich Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident Baden-Württembergs. “Solche
testosterongesteuerten Gruppen können immer Böses anrichten.”

Klingt übel. Aber stimmt das Klischee vom Testosteron als dem Quell des Bösen? Was sagt die Wissenschaft zur Bedrohung durch “Männerhorden”? Gibt es neben den Hormonen noch andere Erklärungen für die – oft männliche – Aggression?

Solche Fragen haben vor ein paar Tagen neue Brisanz bekommen, als die Familienministerin Franziska Giffey die aktuelle Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Gewalt in Partnerschaften vorstellte. Ergebnis: Für eine Frau ist kaum jemand gefährlicher als ihr eigener Mann. 66.820-mal wurden im vergangenen Jahr Frauen Opfer einer einfachen Körperverletzung durch den Partner, 10.407-mal Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Und 147 Frauen wurden 2017 von ihrem (Ex-)Partner getötet. Giffey formulierte es so: “Dass quasi montags, donnerstags und sonntags eine Frau von ihrem Partner umgebracht wird, ist in einem modernen Land wie Deutschland eine unvorstellbare Größenordnung.”

Auch außer Haus sind Gewalttäter fast immer männlich. Männer töten 26-mal so häufig wie Frauen, sie verüben 80 Prozent aller Gewalttaten, 94 Prozent aller deutschen Strafgefangenen sind männlich. Warum ist das so?

Auf solche Fragen hat niemand eine einfache Antwort. Es gibt unzählige Studien zum Thema, doch viele widersprechen einander; zudem konkurrieren verschiedene Disziplinen um einen Erklärungsansatz. Eine Spurensuche durch Biologie, Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Kriminologie zeigt, wie vorsichtig man mit Klischees sein sollte, auch wenn sie schnell zur Hand sind.

1. Testosteron

Männer haben bis zu einhundertmal mehr von diesem Hormon im Blut als Frauen. Mehr Testosteron – mehr Aggression: eine simple Gleichung. Aber stimmt sie? Dazu muss man wissen: Testosteron wirkt, anders als die Stresshormone Adrenalin oder Cortisol, nicht unmittelbar. Ein Mann wird nicht binnen Sekunden zum Schläger, weil plötzlich eine Überdosis Testosteron durch seine Blutbahn kreist. Seine vielfältigen Effekte erreicht das Sexualhormon dadurch, dass es verschiedene Gene aktiviert.

So steuert es Körperbau und Geschlechtsmerkmale und beeinflusst psychische Eigenschaften von Männern und Frauen. In der Entwicklungsphase trägt es dazu bei, das wachsende Gehirn zu maskulinisieren – womöglich werden Männer so auf Dominanzverhalten, Konkurrenz und auch auf Aggression gepolt. Zu Gewalttätern macht sie das aber nicht automatisch.

Hits: 36