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UN-Migrationspakt: Nach dem Pakt ist vor dem Deal

Heute irgendwann um die Mittagszeit wird man von den Besuchertribünen im Bundestag wieder etwas sehen, das manche schon verloren glaubten: die Kraft der politischen Mitte. Beide Regierungsfraktionen hatten sich am Dienstag entschlossen, tief Luft zu holen und die Panik einfach wegzuatmen – die Panik, ohne die ein Gespräch über Migration dieser Tage kaum noch möglich zu sein scheint.

Es gibt vermutlich kein weniger heroisches Wort als “Entschließungsantrag” – und doch ist es vor allem für die Union ein gewagter Schritt gewesen, mit nur fünf Gegenstimmen am Dienstag ein großes Ja zu sagen: Ja zum UN-Migrationspakt, der am anderen politischen Ufer bei der AfD als “Plan zum Bevölkerungsaustausch” und “Zerstörung der Völker” gebrandmarkt wird. Und Ja zur nationalen Souveränität, die durch den Pakt nicht angetastet werden dürfe.

Alexander Dobrindt hat den Pakt verteidigt. Horst Seehofer hat den Pakt verteidigt, einen Tag bevor er am Dienstag mit großer Fanfare die 4. Deutsche Islamkonferenz eröffnete. Man hatte es ja schon kaum mehr für möglich gehalten: Aber sollte sich ausgerechnet in dieser Lage, mitten im Hagel politischer Giftpfeile von rechts, das alte Selbstbewusstsein der Christen-Union wieder zu erkennbarer Größe heraufschrauben?

Natürlich wäre es schöner gewesen, man hätte früher und energischer herauspräpariert, wie und mit welchem Ziel die Deutschen in New York und Brüssel mit 192 anderen Ländern verhandelt haben: mehr Kontrolle. Mehr Wertschätzung für die Interessen der Aufnahmeländer. Ordentliche Pässe, Kooperation bei der Wiederaufnahme derjenigen, die nicht bleiben können, Kampf gegen Schleuser, Respekt. Das Weltgespräch, das die Vereinten Nationen ja sind, hat beide Seiten zur Kenntnis nehmen müssen. Es stimmt: Die afrikanische Delegation hatte versucht, die Betonung auf nationale Souveränität der Aufnahmeländer herunterzudimmen. Aber es ist nicht gelungen.

An dieses kühle Interessenpoker kann die Politik weiter anknüpfen – und sich nun endlich den Themen zuwenden, die wirklich drücken. Es ist nämlich eine Sache, von “Invasoren” und “Bevölkerungsaustausch” zu raunen – und eine andere, die Lage an Europas Außengrenzen nüchtern in den Blick zu nehmen.

Der Pakt enthält ein Bekenntnis gegen illegale Migration. Aber wer will die schon? Wie man sie in den Griff bekommt – das wäre jetzt die lohnende Frage. Und da gibt es, wie Gerald Knaus vom Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) sagt, grob zwei Möglichkeiten: “Entweder man schießt auf Leute, an einer unüberwindlichen Mauer. Oder man braucht Partner.”

Denn es gibt zwar keine Massen mehr, die “irregulär” über das Mittelmeer kommen. Schon gar nicht in Italien, dessen Innenminister Matteo Salvini trotzdem kaum von dem Thema lassen kann. Aber nach Spanien, wohin noch vor wenigen Jahren kaum 20.000 Migranten im Jahr kamen, sind es heute 60.000. Die meisten kommen aus Westafrika. Niemand will sie aufnehmen, niemand schickt sie zurück. Sie vagabundieren durch Europa, die meisten mit dem Zielland Frankreich, dessen politische Lage kaum dazu angetan ist, eine Lösung für Zehntausende sans papiers zu finden. 

Knaus sagt, diese Art verzweifelter “irregulärer Migration” wird man nur unterbinden, wenn man nach dem Muster des EU-Türkei-Deals vorgeht – oder so, wie es die USA mit den Kubanern verabredet haben: Wir nehmen XY von euch zu Ausbildung, Arbeit oder Studium, dafür nehmt ihr ab dem Stichtag Z jeden, aber wirklich jeden eurer Landsleute, der illegal an unseren Küsten landet, zurück. Sowohl in der Ägäis als auch im Süden von Florida hat diese Verabredung die Zahl der Toten dramatisch gesenkt. Wenn man es dann noch schafft, die Verfahren zu beschleunigen, könnte sich wirklich etwas bewegen. Keine Träume von einer “australischen Lösung” sind bisher wahr geworden. Keiner der Posterboys der Neuen Rechten hat es bisher geschafft, Leute in ihre Heimatländer zurückzuschicken, keiner.

Vielleicht dauert es also gar nicht mehr so lang, bis man über Migration nicht mehr im Panikmodus reden muss. Wenn Migranten weder als Invasoren, noch als Opfer, sondern als Menschen mit Interessen gesehen werden, die in Länder auswandern, die ihrerseits Interessen haben: Dann wäre schon eine Menge erreicht.

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