/Rahmenabkommen mit der EU: Ohne Päckli geht es nicht

Rahmenabkommen mit der EU: Ohne Päckli geht es nicht

Was genau drin steht, wissen nur Eingeweihte. Aber aus dem, was in den vergangenen Tagen durchgesickert ist, lässt sich erahnen: Das Rahmenabkommen, das die Europäische Union mit der Schweiz abschließen wollte, wird scheitern. Vielleicht bereits diesen Freitag, wenn der Bundesrat darüber berät. Spätestens aber im Parlament. Was Außenminister Ignazio Cassis und sein Chefunterhändler Roberto Balzaretti mit ihren EU-Partnern ausbaldowert haben, findet in der Schweiz nie und nimmer eine politische Mehrheit. Mindestens zwei rote Linien haben die Verhandler preisgegeben:

Der Schutz des Schweizer Arbeitsmarkt wird aufgeweicht, und die Übernahme der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie ist nicht explizit ausgeschlossen – sie sieht unter anderem ein Recht auf Sozialhilfe ohne vorherige Erwerbstätigkeit im Gastland vor.

Die beiden Tessiner haben es damit geschafft, nicht nur die nationalkonservative Rechte gegen das institutionelle Abkommen aufzubringen, sondern auch die Linken und Gewerkschaften; und selbst die bürgerlichen Parteispitzen äußerten sich gegenüber
Tages-Anzeiger
und
Neuer Zürcher Zeitung
äußerst skeptisch über die geleakten Vertragsbrocken.

Als Ignazio Cassis vor gut einem Jahr sein Amt als Außenminister antrat, versprach er, in den Verhandlungen mit der EU den Reset-Knopf zu drücken. Alles auf null. So sollte der Rahmenvertrag nach jahrelangen Diskussionen und Verhandlungen endlich abgeschlossen werden. Erwischt hat Cassis schließlich den Selbstzerstörungs-Button.

Kommt es wie erwartet, wird die Schweiz am Ende des Jahres eins nach Cassis nicht nur ohne Vertrag und mit einem zerrütteten Verhältnis zur EU dastehen, sondern auch ohne innenpolitische Allianz der proeuropäischen Kräfte.

Die SVP will überhaupt kein Vertragsdach mit der EU. Die SP und die Gewerkschaften, die seit 20 Jahren den bilateralen Weg unterstützen und damit Mehrheiten schaffen, wehren sich dagegen, den Schutz des heimischen Arbeitsmarkts zu lockern. Die flankierenden Maßnahmen waren damals ihre wichtigste Bedingung, um sich für das Mittun der Schweiz im europäischen Binnenmarkt einzusetzen. Und die Bürgerlichen warnen davor: Allein weil große Fragen wie jene nach der Unionsbürgerschaft nicht erwähnt werden, bedeute das noch lange nicht, dass sie nicht früher oder später übernommen würden. Nicht am Verhandlungstisch, sondern über die dann möglicherweise eingeführten Schiedsgerichte.

Ignazio Cassis und Roberto Balzaretti haben die Schweizer Pro-Europäer erfolgreich gespalten; unter gütiger Mithilfe von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und dessen Entourage. Aber der FDP-Bundesrat tritt zurück, und sein Generalsekretär Stefan Brupbacher wechselt Anfang 2019 als Direktor zum Branchenverband Swissmem. Und das sind nicht die einzigen europapolitisch relevanten Personalrochaden, die in den kommenden Tagen und Wochen stattfinden. Zusammengedacht, und mit der notwendigen Portion an Zwangsoptimismus, eröffnet sich damit die Möglichkeit für einen echten Neustart. Ohne Reset-Knopf, dafür mit politischer Handwerkskunst, sprich: dem Päckli-Schnüren.

Den Anfang machen am kommenden Samstag die Gewerkschaften an ihrem Kongress in Bern. Die mitgliederstärkste Arbeitnehmerorganisation, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, wählt ihren neuen Präsidenten. Der welsche Pierre-Yves Maillard tritt gegen die Ostschweizerin Barbara Gysi an. Was als Geschlechterkampf inszeniert wird, ist tatsächlich ein Richtungsstreit: hier der Päckli-Schnürer, der es als Regierungsrat in der Waadt verstand, mit seinen bürgerlichen Ratskollegen so zu verhandeln, dass er möglichst viel für seine eigene Klientel herausholen konnte. Dort die Nationalrätin, die sich durch die Partei- und Gewerkschaftshierarchien gekämpft hat und betont: Ihr sei die Mitsprache der eigenen Basis wichtiger als der große Kompromiss.

Das mag Gysi zusätzliche Stimmen in der Präsidentschaft-Ausmarchung bringen. Für die Schweiz und ihre Europapolitik ist eine geeint auftretende Gewerkschaft wichtig, auf deren Entscheide sich die politischen Gegenüber verlassen können. Interne Befindlichkeiten sind dabei zweitrangig. Hauptsache, die Basis trägt die getroffenen Entscheide mit – und stimmt an der Urne entsprechend ab.

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