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Schach-WM Tiebreak: Das Ende, süß und bitter

Kaum öffnet das WM-Pressezentrum im College zu Holborn am Mittwochmittag, sind schon alle Plätze belegt, und die überzähligen Schachreporter aus aller Welt okkupieren den Raum nebenan, in dem Zuschauer sonst nachmittags Blitzpartien austragen, wenn der Kampf ihrer Helden sie hinreichend inspiriert hat – oder wenn ihnen langweilig ist, weil die schon wieder Remis gemacht haben.

Die Reporter schieben die Schachbretter und Uhren zur Seite, klappen ihre Laptops auf. Viele bloggen live. Selbst jemand von La Repubblica ist jetzt da: Italien hat gemerkt, dass es einen halben Herausforderer in London hat, den Italo-Amerikaner Fabiano Caruana; man möchte wenigstens seinen Sieg nicht verpassen, wenn man seinen Kampf schon verpasst hat. Patriotismus kann so preiswert sein.

Manch ein Journalist, der seit drei Wochen da ist, von der Schilderung der zwölfteiligen Remis-Arie inzwischen etwas ausgelaugt, nimmt sich grimmig vor, nächstes Mal auch erst am Tag der Entscheidung anzurücken. Denn dies unterscheidet diesen 13. Spieltag von allen vorherigen: die Gewissheit, dass es einen Sieger geben wird, sogar einen Gesamtsieger, der Weltmeister wird oder bleibt. Magnus Carlsen oder Fabiano Caruana, das ist jetzt eine Frage von Stunden.

Wobei der Blick auf das Match natürlich davon abhängt, ob man eben erst gekommen ist oder von Anfang an dabei. Denn unwillkürlich fühlt man sich ein in das Ringen dieser beiden jungen Männer da, die sich beide monatelang vorbereitet haben auf diese WM, von der für jeden von ihnen so viel abhängt in einem Sport, der notorisch unterfinanziert ist.

Schachweltmeister sein, heißt ausgesorgt haben. Zudem ist es ein Titel für die Ewigkeit, dessen Ausstrahlung kaum schwindet, wenn dann irgendwann ein Ex- davorsteht. Schafft es Fabiano, sein Lebensziel zu erreichen? Kann Magnus seinen Titel einmal mehr verteidigen?

Schach-WM – Die Strategie des Weltmeisters

Ein Herausforderer ist wohl immer motivierter als der, der sich behaupten muss, und in der Tat wirkte Fabiano Caruana, der ein Jahr großer Erfolge hinter sich hat, von Runde zu Runde sicherer. Dies ist seine erste WM; er muss mit allen Umständen erst einmal fertigwerden.

Für Magnus Carlsen ist es der vierte Kampf. Er lamentierte sich durch das Turnier, unwirsch und schnippisch, und gegen Ende hin wollte er dann nur noch das Stechen erreichen, in dem sich schon einmal durchgesetzt hatte, vor zwei Jahren in New York gegen Sergej Karjakin, den er über zwölf Runden hinweg ebenfalls nicht hatte bezwingen können. Magnus Carlsen hat  noch nie ein Stechen verloren – wenn das nicht für ihn spricht!

Auf der anderen Seite das Selbstbewusstsein, die Ruhe, der Wille: Caruana, der ausweislich seiner Turnierergebnisse im Schnell- und Blitzschach nicht annähernd so gut ist wie Carlsen, könnte es an diesem Tag vielleicht doch schaffen. Unterstützung bekommt er von Ex-Weltmeister Garri Kasparow, einem Immer-Noch-Weltmeister der ungefragten Senfzugabe, der per Tweet verkündet, nach der von Carlsen nicht ausgespielten zwölften Partie, nach “diesem schockierenden Remisangebot in überlegener Position mit mehr Zeit”, sei nun Caruana sein Favorit, denn ein Stechen verlange enorme Nerven, und Magnus scheine sie zu verlieren.

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Das Publikum erscheint an diesem Tag nicht in solchen Scharen wie bisher; warum ist unklar. Gab es sonst Halbstundenschichten in denen die Zuschauer ausgetauscht wurden, bleiben jetzt etliche Plätze leer. Ob die Veranstalter die Eintrittspreise heraufgeschraubt haben, wie vor zwei Jahren in New York? Man weiß es nicht, und es ist im Tumult auch nicht zu erfahren.

Dafür ist zu Beginn der ersten Schnellpartie von der Bühne gar nichts mehr zu sehen außer den Rücken der Fotografen, die ihre Hände mit den Fotoapparaten hoch über den Köpfen haben, weil vor ihnen auch noch Fotografen stehen und vor denen auch noch welche. Bei den letzten sechs Weltmeisterschaften war das Medieninteresse nicht so groß wie hier; das mag zum Teil an den amerikanischen Reportern liegen, die sich zuvörderst für alles Amerikanische interessieren und deshalb in New York, wo es sich angeboten hätte, nicht so präsent waren, weil da nur ein Russe gegen einen Norweger spielte.

Wohingegen das Publikum im Netz, soweit man das überhaupt sagen kann, vielleicht weniger präsent war als zuletzt, vielleicht weil es einfach zu viele Remisen gab, an denen sich keine Begeisterung entzünden wollte oder auch, weil der Herausforderer noch zu blass erscheint und der Titelverteidiger nicht mehr attraktiv genug. Seine Story kennt inzwischen ja jeder.

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