/“Nachrichten aus Syrien”: Kriegsgeräusche in Münster

“Nachrichten aus Syrien”: Kriegsgeräusche in Münster

Ein Kinderspielplatz, viel Grün,
Vogelgezwitscher, ein kleines Mädchen ist auf die Rutschbahn geklettert, die
Eltern zählen lachend bis drei, dann saust sie hinunter. Eine deutsche Kleinstadtidylle,
würde da nicht wie durch einen Störsender das leicht verzerrte Geräusch von
Explosionen, Schreien und Maschinengewehrfeuer ertönen. Zena und Raad heißen die Eltern, sie
stammen aus dem syrischen Aleppo. 2015 sind sie vor dem Assad-Regime nach
Deutschland geflohen. Der Krieg ist bei ihnen geblieben, sie haben ihn ständig
vor Augen, klein und oft verwackelt auf ihren Smartphones.

Ein paar Mal mit dem Finger über das
Display wischen, und die Stimme einer Freundin aus Idlib ist zu hören, der
letzten Hochburg der Assad-Gegner, wo sie mit ihrem Handy Luftangriffe des
Regimes filmt. 3.000 Kilometer entfernt, im rheinland-pfälzischen Ahrweiler,
starrt Raad auf die Aufnahmen zerbombter Häuser, Zena lenkt die kleine Tochter
ab. “Na, was wollen wir als Nächstes spielen?”

Dass die Welt durch soziale Medien immer enger zusammenrückt, ist längst eine
banale Feststellung. Dass man dabei zwischen zwei Welten fast zerrissen werden
kann, zeigt der Dokumentarfilm Nachrichten aus Syrien –The War on my Phone.
Mehr als ein Jahr haben die Regisseurin Elke Sasse und ihr Team fünf syrische
Flüchtlinge begleitet, die durch Skype, WhatsApp oder Facebook immer wieder in
ihre Heimat zurückgesogen werden.

Neben Zena und Raad ist da der ehemalige
Landwirtschaftsstudent Omar aus Deir ez Zour, der in Saarbrücken gelandet ist
und verzweifelt auf ein Lebenszeichen seiner Freundin in Syrien hofft. Da ist
Amjad, früher beim Roten Kreuz in Damaskus, jetzt in Münster, der per
Smartphone Kontakt zu seinem inhaftierten Freund Jamal in Syrien hält. Was zunächst
absurd klingt. Aber Syriens Gefängniswärter sind nicht nur geübte Folterer, wie
Jamal am eigenen Leib erfährt, sie sind auch schlecht bezahlt und dulden gegen
Schmiergeld Handys in den Zellen. Und da ist Shahinaz, Sozialarbeiterin
aus Idlib, die vor der prächtigen
Alpenkulisse in Lausanne mit einem Schmuggler in Syrien telefoniert, um Mutter und
Schwester aus dem Land zu holen.

Filme sind zuallererst ein visuelles
Medium, und was die Augen des Zuschauers hier aufnehmen, kann der Kopf anfangs
nur mühsam zusammendenken. Unverfängliche Alltagsszenen in deutschen
Einkaufsstraßen, Bussen, Cafés, in die sich die Handyvideos von Explosionen
und Rauchsäulen schieben. Ein Passagierflugzeug am blauen Himmel über
Rheinland-Pfalz, der in den milchigen Himmel über Idlib übergeht, wo ein
Kampfflugzeug gerade Bomben abwirft.

Aber mehr noch ist es der Sound des
Filmes, der am eigenen scheinbar
unerschütterlichen Gefühl von Sicherheit und Normalität rüttelt. Das Pling
einer WhatsApp-Nachricht, hinter dem man hierzulande eine Party-Einladung vermutet, klingt auf Amjads Handy wie ein Alarmsignal,
weil es nur eine neue schlechte Nachricht von Jamal aus dem Gefängnis bedeuten
kann. Das leise Klacken der Tastatur bekommt etwas Verzweifeltes, wenn Shahinaz
Textnachrichten an ihre Schwester schreibt, während ihre Schweizer Bekannten am
gemeinsamen Kaffeetisch über die Vergrößerung der Terrasse plaudern.

“Mein Telefon ist immer an”, sagt
Zena, die ehemalige Medienaktivistin aus Aleppo. “Es kann nie aus sein.” Ihre
Freundin, die in Idlib ein Frauenzentrum betreibt und sowohl Angriffe des
Regimes wie Attacken islamistischer Rebellen fürchten muss, darf nicht mit Namen genannt werden. Ihr Gesicht wurde auf den Videos
verpixelt. Sie will nicht fliehen, aber sie braucht Zena und Raad als
Nabelschnur zur Außenwelt.

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