/SPD-Austritt: Marco Bülow – der Mann, der zu viel wollte

SPD-Austritt: Marco Bülow – der Mann, der zu viel wollte

Eigentlich war Marco Bülow schon zweimal kurz vor dem Austritt: 1993, ein Jahr nachdem er sein Parteibuch erhalten hatte, als die SPD dem Asylkompromiss zustimmte. Dann, so erzählt er, “war ich schon mal nahe dran” im Sommer 2018, als die Parteispitze wieder einmal Reformen versprach. Nun, nachdem auch die Landtagswahlen in Hessen und Bayern für die SPD keine Trendumkehr herbeigeführt haben, zieht sich der Dortmunder Bundestagsabgeordnete tatsächlich zurück: Er tritt aus der SPD aus, verlässt nach 16 Jahren seine Fraktion und sitzt hinfort als Einzelabgeordneter im Parlament. So wie Frauke Petry und Mario Mieruch von der Blauen Wende. Bülows Entfremdung von der SPD in derzeitiger Gestalt läuft schon länger, er ist einer der prominenten Unterstützer der außerparteilichen Sammlungsbewegung Aufstehen der Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht. Er selbst hat aus der SPD heraus die Progressive Soziale Plattform gegründet, die 5.000 Menschen unterstützen, sagt Bülow.

Schon auf seiner Website macht Bülow deutlich, dass er es seinen SPD-Parteikolleginnen und -kollegen nicht leicht macht: “Ich bin nicht angepasst, denke quer und ich rede Klartext”, lautet der erste Satz seiner Selbstbeschreibung – ein versteckter Vorwurf gegen alle, die in der Partei bleiben, obwohl sich die SPD ungeachtet innerer Widerstände auf die große Koalition eingelassen hat, statt sich in der Opposition zu erneuern. Er nutzt das ganze Vokabular linker politischer Aufrichtigkeit: Er verkörpere einen “anderen Stil von Politik”, schreibt Bülow. Nicht Konzerninteressen also, sondern die der Menschen. “Haltung zeigen, wenn es unbequem wird.” Er tut das mit gewissem Rückhalt seiner Heimatregion, der er sich verpflichtet fühlt. In die Bundestagsfraktion schickten ihn die Dortmunder SPD-Wählerinnen und -wähler stets per Direktmandat. “Mein Chef ist die Bevölkerung”, schreibt Bülow.

Der 47-Jährige verhehlt nicht, dass er sich in der Bundestagsfraktion und seiner Partei oft verlassen fühlte: als Gegner der großen Koalition, im Kampf für eine soziale Politik, für bezahlbare Mieten, ein Lobbyregister. “Ich dringe mit meinen Positionen nicht mehr durch”, sagt Bülow.

Kongresse und ein Debattencamp

Die SPD hat den gesetzlichen Mindestlohn erkämpft, eine Mietpreisbremse und sie will Hartz IV abschaffen. Doch Bülow reicht das nicht aus. Wie es aussieht, bieten ihm selbst die Parteilinken der SPD keinen ausreichenden Rückhalt mehr. Wer Bülow zuhört, erkennt: Er hat ein Grundsatzproblem mit seiner Partei. Und damit, innerparteilich erzielte Kompromisse mitzutragen. Denn über die große Koalition haben die Mitglieder abgestimmt – ein stärker fundiertes Votum gibt es nicht in einer Partei. Bülow stellt dagegen seine “persönliche Glaubwürdigkeit über die Partei”. Ihm sei klar geworden, “dass ich mich verbiegen müsste”. Da bleibt dann in der Tat nur noch der Austritt.

Viele Punkte, die Bülow anspricht, waren in den vergangenen Jahren auch schon von den SPD-Chefs zu hören. Schon Sigmar Gabriel veranstaltete Kongresse zur programmatischen Erneuerung, Martin Schulz versprach nach der desaströsen Bundestagswahl programmatische und personelle Erneuerung, jüngst lud Andrea Nahles mit Olaf Scholz Interessierte zum sogenannten Debattencamp in einen rustikalen Berliner Ziegelbau. Doch mit “fancy Debattencamps” sei der Krise nicht beizukommen, sagt Bülow. Seine Partei sei nicht in der Lage, “sich zu erneuern und eine klare Position zu finden und Menschen mitzunehmen” – härter kann man es aus der Partei heraus nicht sagen. Bülow hat das Mantra von der Dauererneuerung satt.

Sammlungsbewegung? Heute kein Thema

Bülow beklagt, dass die Parteilinken und Groko-Gegner nirgends durch die Partei repräsentiert werden: Sie sitzen zwar im Vorstand, aber in der Fraktionsspitze oder in den Ministerien seien sie nicht präsent. Eine Groko-Gegneron oder einen -Gegner in ein Ministerium zu schicken, erscheint auf den ersten Blick abwegig. Die Grünen schafften diesen Spagat, als sie einst den gemäßigten Grünen-Fundi Ludger Volmer zum Staatsminister im Auswärtigen Amt machten. Volmer erfüllte zwar auch nur den Koalitionsvertrag mit der SPD, er war aber immerhin ein Signal an die Parteilinken: Ihr seid wichtig.

Was Bülow jetzt vorhat, ließ er zunächst offen. Ob er sich stärker in Wagenknechts Sammlungsbewegung engagiere, sei heute kein Thema, sagte er. Auch den Verdacht, er habe Angebote aus Linkspartei oder -fraktion, wollte er nicht abstreiten. In Teilen seiner bisherigen Bundestagsfraktion herrscht offenbar Erleichterung. Wenn er sehe, wer sich da jetzt über seinen Abgang freue, werde ihm klar: “Ich habe nichts falsch gemacht.” 

Redezeit, aber keinen Applaus

Und im Wahlkreis scheint das nicht anders auszusehen: Er habe “unterschiedliche Reaktionen” erhalten, sagt Bülow. Es gebe auch Leute, die ihn gebeten hätten, weiterzumachen. Das Verständnis für seinen Rückzug teilen also nicht alle. Schwierig dürfte es spätestens 2021 werden, wenn die SPD eine neue Wahlkreiskandidatin oder einen -kandidaten aufstellt. Schon jetzt weiß Bülow nicht genau, wie er sich als Parteiloser in Dortmund um die Wähler kümmern soll, die ihn in den Bundestag brachten. “Das wird der schwierigste Part.” Bülow hat, wie es aussieht, seine bundespolitische Karriere aufgegeben, weil seine Partei ihm mehr Kompromissbereitschaft abverlangte, als er zu liefern bereit war.  

Doch einen Vorteil des Austritts hat er bereits ausgemacht: Es gebe Fraktionskollegen, die hätten seit Beginn der Wahlperiode nicht eine Minute Redezeit im Bundestagsplenum erhalten. “Als Fraktionsloser kriegt man Redezeit.” Selten zwar, aber man muss sie mit keinem teilen. Doch was sich schon bei Petry und Mieruch zeigt: Man bekommt keinen Applaus.

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