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Friedrich Merz: Der Spalter der Fraktion

Das Urteil, das seine Fraktionskollegen über Friedrich Merz fällten, war hart, teilweise vernichtend. Nach dessen Abgang von der Spitze der Unionsfraktion nannte ein mächtiger Landesgruppenchef Merz’ “Neigung zur Dogmatik und zur Sturheit” als eine zentrale “politische Schwäche”. Er berichtete von “ausgeprägter Eitelkeit und auch einer Neigung (…) zur Selbstdarstellung” und von Merz’ Unfähigkeit, gute Leute “an sich zu binden”.

Als Merz den Fraktionsvorsitz der Union 2002 nach nur 31 Monaten verlor, hatte er zahlreiche Abgeordnete gegen sich aufgebracht. Während sich heute die meisten CDU-Anhänger an einen brillanten Rhetoriker und glänzenden Analytiker erinnern, waren viele in der Fraktion vor 16 Jahren unzufrieden mit dem Chef. Selbst einstige Förderer sprachen ihm damals grundlegende politische Fähigkeiten ab.

Nachlesen lässt sich das in einer bislang unbekannten wissenschaftlichen Arbeit, die 2005 verfasst wurde und ZEIT ONLINE vorliegt. Sie beschäftigt sich mit der Phase zwischen Februar 2000 und September 2002, in der Merz der Bundestagsfraktion der Union vorstand. Der Autor der Studie führte dafür zahlreiche Gespräche mit damaligen und zum Teil noch heute aktiven Spitzenpolitikern der Union. Sie wurden vertraulich geführt, daher werden die Politiker hier nicht namentlich genannt. Die Abschriften dieser Interviews liegen ZEIT ONLINE vor. 

“Rudel von Alphatieren”

Die Zeit, in der Merz den Fraktionsvorsitz übernahm, war grundsätzlich schwierig für die Union. Die Partei hatte 1998 nach 16 Jahren der Regierung Helmut Kohls die Macht im Bund verloren. Obendrein wurde die CDU von einem Spendenskandal erschüttert, der auch Kohls Nachfolger als Parteichef, Wolfgang Schäuble, im Februar 2000 zum Rücktritt zwang. Dieser gewaltige Reputationsverlust der alten Führungsriege schuf in der CDU ein Bedürfnis nach frischem, unbelastetem Personal. So wählte sich die Union zwei Mittvierziger an die Spitze von Partei und Fraktion, die der breiten Öffentlichkeit bis dahin kaum bekannt waren: Friedrich Merz und Angela Merkel.

Die Fraktion war damals mit Dutzenden ehemaligen Bundesministern und Staatssekretären bestückt. Das machte es dem Neuling Merz schwer, sich durchzusetzen. Er erlebte, wie es sein damaliger Büroleiter Michael Eilfort 2002 in einem Aufsatz formulierte, das ausgeprägte “Frustpotenzial von Oppositionsfraktionen”. Die Unionsabgeordneten, die Eilfort mit einem “Rudel von Alphatieren” verglich, neigten in der Folge des Machtverlustes zur “Resignation und Selbstbezogenheit”. Merz war ständig mit Indiskretionen und Nörgelei konfrontiert.

Überall gab es bald Merz-Anhänger

Nach außen genoss er freilich Rückendeckung: Viele in seiner Fraktion johlten und applaudierten, wenn er die Argumente der Herren Schröder, Eichel oder Trittin kunstvoll auseinandernahm. Merz war streitlustig und hatte keine Scheu, sich Beulen im politischen Nahkampf zu holen. Einer, der im Parlament und in der Öffentlichkeit den Schlagabtausch mit den rot-grünen Ministerinnen und Ministern suchte, fehlte der Union ansonsten in dieser Phase der Orientierungslosigkeit.

Merz führte den Begriff Leitkultur in den politischen Diskurs ein. Er erfand die Steuererklärung auf einem Bierdeckel. Die Junge Union verehrte ihn. Der Wirtschaftsflügel, die konservative Presse, der Boulevard – überall gab es bald Merz-Anhänger. Einen solchen Politiker, lautet eine gängige Interpretation in der Union bis heute, hatte die Partei seither nicht mehr. 

Er sei zu dieser Zeit “mit Joschka Fischer zusammen der beste politische Redner Deutschlands” gewesen, sagte damals auch ein Spitzenpolitiker im Gespräch mit dem Autor der Studie. Weitere Parteifunktionäre hoben seinen “messerscharfen Verstand” und die “hohe Redegewandtheit” als wichtigste politische Stärken hervor. Tugenden, die nicht alltäglich sind, schon gar nicht in der Union, dieser so pragmatischen Machtpartei. 

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