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Einwegflaschen: Du Flasche!

Wie sich das Land in den letzten Jahrzehnten verändert hat, kann man in Mike Lederers Laden beobachten. Lederer, 54, ein schmaler Mann mit einer schwarzen Hornbrille, führt einen Getränkemarkt in Berlin-Charlottenburg. Sein erstes Geschäft Eröffnete er vor 21 Jahren. Damals holten die Leute ihre Getränke, zahlten und waren weg. Heute stellen sie Fragen. “Ist in den Plastikflaschen Weichmacher?” – “In welchem Mineralwasser ist am meisten Kalzium?”

Viele haben Angst, das Falsche zu kaufen. Vor allem die Frage, was ökologisch richtig ist, treibt die Leute um. Als sie vor Kurzem hörten, dass die Einwohner des französischen Vittel der Firma Nestlé vorwerfen, sie sei am Absinken des Grundwasserspiegels schuld, weil sie dort ihr nach dem Ort benanntes Mineralwasser abfüllt, kauften sie bei Lederer gleich weniger davon.

“Der Kunde ist sehr speziell”, sagt Lederer.

Ihm gehören vier Getränkemärkte der Kette Getränke Hofmann. Der Charlottenburger Markt misst 460 Quadratmeter, er ist fünfmal so groß wie sein erster Laden. Damals, 1997, gab es noch kein Bier mit Cassis-Geschmack und auch kein Fiji-Wasser, das von den gleichnamigen Inseln kommt und besonders rein sein soll.

Keine Ecke im Laden hat sich so verändert wie die hinten links, wo das Mineralwasser-Regal steht. Es gibt Dutzende Glasflaschen und viele, viele Flaschen aus Plastik. Lederer zählt durch, “228!”. So viele verschiedenen Wasserflaschen hat er im Angebot. Die Leute könnten genauso gut Leitungswasser trinken, das laut Umweltbundesamt überall von sehr guter Qualität ist, außer man hat alte Bleileitungen im Haus. Aber jedes Mineralwasser schmeckt eben anders, wegen der Mineralstoffe. Es ist das beliebteste Getränk, für das die Deutschen Geld ausgeben, und es scheint auch identitätsstiftend zu sein: In Lederers Märkten kaufen Ostberliner gern Spreequell, eine ehemalige DDR-Marke; die Westberliner Mittelschicht liebt Volvic aus Frankreich. Die zu Esoterik Neigenden greifen zu St. Leonhard aus Oberbayern, davon gibt es auch Wasser aus einer “Mond-” und einer “Sonnenquelle”.

Die Umweltbewussten wissen oft nicht, was sie nehmen sollen. Lederer rät zu Glasflaschen, weil das mal als das Beste galt. Doch das meiste Mineralwasser wird heute in Deutschland in Einwegflaschen aus Kunststoff abgefüllt und verkauft. Und die sind von Mehrwegflaschen aus Kunststoff, die es ebenfalls gibt, nur schwer zu unterscheiden. Vielen ist wahrscheinlich gar nicht klar, dass sie Einwegflaschen in der Hand halten, weil auch auf diese Pfand erhoben wird – zumindest wenn Wasser drin ist und nicht Saft – und man sie in Rückgabeautomaten steckt. Nur werden sie da drin gleich gepresst, um später recycelt zu werden. Sie sind dünner als die Mehrwegflaschen und tragen das Logo der Deutschen Pfandsystem GmbH, eine Flasche und eine Dose mit einem Pfeil drum herum. Seit 2016 geht der Absatz dieser Flaschen zum ersten Mal zurück, und der von Glasflaschen steigt.

Dafür gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Die Abneigung gegen Plastik hat zugenommen. 2018 war das Jahr mit den Bildern von Tüten im Ozean, den Nachrichten über Mikroplastik, das man in Fischen findet und in Menschen. Das Jahr, in dem die EU ein Verbot von Rührstäbchen und Strohhalmen aus Plastik ankündigte, weil die öfter an Stränden gefunden werden. Wegwerfplastik zu benutzen ist für viele heute so unmoralisch wie Rauchen. Die Mittelschicht kauft ihren Kindern schon länger lieber Holzspielzeug und kann sich das auch leisten. Es gibt eine Anti-Plastik-Bewegung, das Buch und der Blog dazu heißen
Besser leben ohne Plastik.
In einigen Großstädten werben Läden damit, sie seien verpackungsfrei – wie Original Unverpackt in Berlin, dessen Kunden Gläser zum Abfüllen von Nudeln oder Müsli mitbringen, um ja kein Plastik und keine Pappe zu verbrauchen.

Aber wie böse sind Plastikflaschen wirklich?

© Benjamin Gottwald

Sucht man im Netz nach einer schnellen Antwort, stößt man vor allem auf Plastikgegner, für die wegen der Einwegflaschen demnächst die Welt untergeht. Für die Deutsche Umwelthilfe, die gegen Einwegflaschen so energisch kämpft wie gegen Dieselautos, nur bisher nicht ganz so erfolgreich, sind sie “Klimakiller”. Auch Stiftung Warentest und Umweltbundesamt raten von Einwegflaschen ab – und stattdessen zu Mehrweg “aus der Region”, abgefüllt nicht weiter als 300 Kilometer vom Konsumenten entfernt. Die Mehrwegflaschen dürften allerdings auch aus Kunststoff sein. Eine brauchbare Liste von empfehlenswerten Mineralwässern findet man jedoch nirgends. Dafür stößt man auf eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg, ifeu, das die Sache ganz anders sieht: Manche Einwegflasche aus Plastik sei einer Mehrwegflasche aus Glas längst “ökologisch gleichwertig”, weil sie ja recycelt werde.

Was stimmt nun?

Über Einwegflaschen weiß in Deutschland wohl niemand so viel wie Frank Welle, 52. Er ist Chemiker am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising bei München. An einem Novembertag stapft Welle über ein Fabrikgelände in Sachsen. Er ist ein kräftiger Mann mit längeren grauen Haaren. Vor den Fabrikhallen liegen verschnürte Bündel, groß wie Kleiderschränke, sie sind meterhoch gestapelt. Welle tritt heran und betastet sie. Es sind gepresste Einwegflaschen, grüne, blaue und durchsichtige. In den Hallen werden die Flaschen sortiert und zerhackt, die Splitter werden gewaschen und eingeschmolzen.

“Dass Einweg schlecht ist und Plastik böse, kann ich schon lange nicht mehr hören”, sagt Welle.

Er ist ein Experte für Recycling. Zu Hause in Freising fährt er mit dem Fahrrad die sechs Kilometer ins Büro, und wenn er in den Supermarkt geht, nimmt er einen Rucksack mit, damit er keine Tüte kaufen muss. Er versucht umweltbewusst zu leben und Abfall zu vermeiden, und trotzdem ärgert es ihn, wenn einer von “der Wegwerfgesellschaft” spricht, als sei Konsum an sich das Problem. Für Welle ist das Problem, dass nicht genügend recycelt wird.

Den Begriff Plastik benutzt Welle nur, wenn er andere zitiert. Er selbst sagt: PET. Polyethylenterephthalat, das ist sein Kunststoff. Der, aus dem die Einwegflaschen sind. Im Gegensatz zu den Kunststoffen, die im gelben Sack oder in der gelben Tonne gesammelt werden, ist er hochwertig und vergleichsweise teuer. Theoretisch ist er unendlich oft wiederverwertbar. Wie lange es wirklich funktioniert, müssen sie in der Fabrik in Plauen noch herausfinden: Vielleicht leidet die Qualität irgendwann doch. Das Recycling von Kunststoffen ist noch jung, es wird viel getüftelt und ausprobiert.

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