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Arbeitsklima: Wir müssen das Grummeln lieben lernen

Ich bin erkältet, besorgt, genervt, traurig, depressiv,
beleidigt, wütend. Hatte Liebeskummer, Schmerzen, keine Lust. Und das alles
noch vor dem Mittagessen – wenn man meine Kollegen und Kolleginnen fragt. Für
mich dagegen ist es ein ganz normaler Arbeitstag. Ich habe nur einfach keine besonders
gute Laune.

Keine. Gute. Laune. Drei Worte, die es zusammengenommen in
der modernen Arbeitswelt eigentlich gar nicht geben sollte. Denn wer morgens
zur Arbeit geht, stellt sich in den Dienst der kollektiven Fröhlichkeit. Der
graue Teppich des Großraumbüros wird zur blühenden Wiese, die Kollegen zu
besten Freunden, der quietschende Drehstuhl zum Strandkorb.

Wer die Lohnarbeit nicht mit einem Lächeln bejaht, wird kritisch
hinterfragt: “Guck doch nicht so grimmig”, bekomme ich von
Kollegen in den Büros zu hören, in denen ich bislang gearbeitet habe. “Müsste ich dich nicht sehen, würde ich auch nicht so
grimmig gucken”, denke ich mir und meine das nicht persönlich: Ich säße
nur wirklich lieber am echten Strand mit alten Freunden und einem Cocktail im
Glas statt Filterkaffee in der Tasse. Vor allem würde ich mir wünschen, nicht
wie ein Aussätziger behandelt zu werden, nur weil ich mal nicht den ganzen Tag strahlend
vor dem Bildschirm hocke.

Terror der guten Laune

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Frohsinn
auf der Arbeit, nichts gegen lachende Kolleginnen, Feierabendbier und
Geburtstagskuchen. Ich schätze ein angenehmes Arbeitsklima, ein freundliches und
höfliches Miteinander und entspannte Vorgesetzte, genau wie die
meisten Menschen
. Deshalb lasse ich meine Laune auch nicht an den
Kollegen aus, wüte und schimpfe nicht und mache meine Arbeit trotzdem gerne,
meistens jedenfalls. Ja, gute Arbeit und schlechte Laune müssen sich nicht ausschließen.

Im heutigen Arbeitsalltag ist die Vorstellung miesepetriger
Arbeitnehmer dennoch undenkbar. Hier regiert der
Terror der guten Laune
. In Zeiten, in denen Arbeit nicht mehr nur
Notwendigkeit, sondern zunehmend Selbstverwirklichung bedeutet, ist kein Platz
mehr für herunterhängende Mundwinkel. Wer erfolgreich sein will, muss fröhlich
sein, “spannende Herausforderungen” suchen und mit einem Lächeln auch
noch die dritte Wochenendschicht des Monats annehmen. Ein quietschfideles “Team”
gilt als der Schlüssel zu Erfolg und Glückseligkeit.

Diese Fröhlichkeit am Arbeitsplatz ist institutionalisiert.
Etwa durch Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern und Sommerfeste, auf denen uns
die Arbeitgeber wieder “einiges anbieten”, was vor allem Alkohol und
schlechte Musik bedeutet, aber die Mitarbeiterbindung stärken soll.
Dazu kommen die täglichen “Motivationsbooster”: Das Eis, das die
Chefin an
einem Sommertag spendiert
. Die verrückte Schokolade aus Japan, die
der Abteilungsleiter für alle aus dem Sabbatical mitbringt. Der Kickertisch im
Pausenraum. Das monatliche After-Work-BBQ, das die Mitarbeiter natürlich selbst
organisieren. Und wer freiwillig regelmäßig
länger im Büro bleibt, nimmt auch gerne am
Achtsamkeitskurs teil
, um die Laune – und natürlich die Leistungsfähigkeit
– zu heben. Am besten im modernen Büro mit Müsli-Bar und bunt
gestalteten Konferenzräumen. Und wenn das nicht hilft, packt der Feelgood-Manager
die Gute-Laune-Rute aus.

Die aufgesetzte gute Laune zeigt sich auch bei den Kollegen
und Kolleginnen: Wer morgens ins Büro kommt, muss bestenfalls alle grüßen.
“Guten Morgen, Moinsen, na, auch schon da?” Wer es nicht tut, gilt bestenfalls
als Morgenmuffel, schlimmstenfalls als verschrobener Rüpel. Im firmeninternen
Slack-Chat schieben wir auf jede Nachricht ein
Smiley hinterher
, auf jede E-Mail ein “Herzlichst”, auch
wenn der Inhalt Überstunden bedeutet. Der schwangeren Kollegin gratulieren wir
zum nächsten Kind, obwohl wir wissen, dass
es den Klimawandel weiter vorantreiben wird
. Selbst am Waschbecken
vor dem Klo müssen wir noch lächeln, obwohl wir über alles, wirklich alles
lieber nachdenken würden als darüber, wer vor uns auf der Schüssel saß.

Wir müssen das Grummeln lieben lernen

Nun meinen es die meisten Chefs nur gut mit uns
Arbeitnehmern, und es gibt Schlimmeres als firmeninterne Sport- und
Motivationsangebote. Es spricht auch nichts gegen eine Kickerrunde nach dem
Mittagessen, um Stress abzubauen, und niemand will mehr in aschgrauen
Bürobunkern hocken. Zwischenmenschlich ist es nur verständlich, gesellschaftliche
Codes zu beachten, auch wenn wir in Wirklichkeit etwas ganz anderes denken. Es
ist wichtig für das soziale Miteinander.

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