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Jens Spahn: Beliebt werden

Vor gut einem Jahr bekam Jens Spahn eine Anfrage, die vollkommen harmlos
klang. Seine Parteifreunde vom CDU-Kreisverband Hochsauerland luden ihn ein, im November 2018
in der Schützenhalle von Hüsten eine Rede zu halten. Spahn sagte zu. Er konnte damals nicht
ahnen, dass er sich keinen schlechteren Ort hätte aussuchen können.

Jetzt steht er in der Schützenhalle, vor ihm 300 Gäste und eine Blaskapelle. An der Wand steht, in Frakturschrift, die Losung der sauerländischen Schützenbruderschaften: “Glaube, Sitte, Heimat”. Spahn spricht über Deutschland und über die CDU. “Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen!”, ruft er. Keiner klatscht. Eine Bierflasche ploppt.

Eigentlich kann man im Sauerland als CDU-Politiker nicht viel falsch machen. Hier ist die CDU heute noch das, was sie früher mal in ganz Deutschland war: eine Volkspartei. Hier holt sie in manchen Orten noch mehr als 60 Prozent der Stimmen, hier sind fast alle Bürgermeister Christdemokraten. Ein Heimspiel, eigentlich. Aber Spahn steht hier nicht als Redner. Er steht hier als Kandidat. Mitten im Revier des Gegners.

Hüsten ist ein Stadtteil von Arnsberg, und Arnsberg ist der Heimatort von Friedrich Merz, jenem einstigen CDU-Fraktionschef, der 2009 den Bundestag verließ und vor wenigen Wochen, für viele völlig überraschend, seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz verkündete. Vor ein paar Tagen hielt Merz gleich um die Ecke eine Rede. Als er fertig war, sprangen die Leute von ihren Stühlen auf, sie johlten und applaudierten, minutenlang. Sauerland ist Merzland.

Der Merz, sagt ein Herr, der an einem der hinteren Tische der Halle sitzt und seit 30 Jahren CDU-Mitglied ist, der Merz sei ein rhetorisches Ausnahmetalent. “Wenn der ’ne Rede hält – da boxt der Papst!”

Und der Spahn?

“Gewöhnungsbedürftig.”

Kaum jemand in der CDU hat so zielstrebig darauf hingearbeitet, einmal Parteichefin Angela Merkel zu beerben, wie der 38-jährige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Schon vor fünf Jahren sagte er zu einem Journalisten: “Wenn ich mir den Kanzler nicht zutrauen würde, dann müsste ich das alles hier ja nicht machen.” Es gibt Leute in seiner Partei, die sagen, Spahn habe keinen moralischen Kompass, sondern allenfalls einen Plan für den Weg nach oben. Sie nennen ihn “Ich-AG”.

Als Merkel am Tag nach der hessischen Landtagswahl ihren Rückzug als CDU-Chefin ankündigte, war der Moment gekommen, auf den Spahn all die Jahre gewartet hatte. Er kandidierte. “Völlig aufgekratzt” sei er gewesen, sagt einer, der an jenem Tag in der Präsidiumssitzung saß. Auch die Merkel-Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer verkündete in jener Sitzung ihre Kandidatur. Sie bekam Applaus. Spahn nicht.

Eigentlich wollte er sich neben Kramp-Karrenbauer als konservativer, wirtschaftsliberaler Kandidat profilieren. Wollte für strenger bewachte EU-Grenzen werben, für Recht und Ordnung, Freiheit und Marktwirtschaft. Dann kam ihm Merz dazwischen. Der sprach schon von Rechtsstaat und Leitkultur, als Spahn noch seine Lehre zum Bankkaufmann machte. Seit Merz kandidiert, wirkt Spahn auf viele CDU-Mitglieder wie eine schlechte Kopie des lange vermissten Originals. Spahn will den wirtschaftsliberalen Geist der Partei wieder aufleben lassen. Merz
ist
der wirtschaftsliberale Geist der Partei.

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