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Brexit: Nur scheinbar einig

Selten stand die EU so einig zusammen wie beim Brexit. Selbst Spanien, dass sich auf den letzten Metern noch wegen Gibraltar querlegte, konnte noch eingefangen werden. Dass dieses Europa, dem immer wieder Halsstarrigkeit, Intransparenz und Bürokratie vorgeworfen wird, sich tatsächlich mit Großbritannien relativ geräuschlos auf einen Kompromiss geeinigt hat und damit zumindest die erste Verhandlungsrunde abschließt, ist ein beeindruckender Erfolg. Jetzt liegt an den Abgeordneten im britischen Unterhaus, ob sie diesen durchaus fairen Kompromiss akzeptieren, oder ob Großbritannien chaosartig ohne Einigung aus der Europäischen Union ausscheidet.

Letzteres kann niemand ernsthaft wollen. Weder die Briten, die eine solche Entscheidung in eine tiefe ökonomische und politische Krise stürzen würde, noch die EU. Denn der Brexit erwischt Europa zu einem Zeitpunkt, an dem die Union insgesamt sehr zerbrechlich scheint. Populisten, die ihren Bürgerinnen und Bürgern weismachen wollen, ohne die EU liefe vieles nicht schlechter, vielleicht sogar besser, gewinnen immer mehr Zustimmung. Die osteuropäischen Mitgliedsstaaten driften inzwischen so weit ab, dass man sich ernsthaft fragen muss: Teilt diese Gemeinschaft überhaupt noch die Werte, die im Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegt worden sind?

Im Mai 2019 wird das EU-Parlament neu gewählt. Die Nationalisten und Rechtspopulistinnen können damit rechnen, viele Sitze hinzuzugewinnen. Gleichzeitig ist in Washington mit Donald Trump ein US-Präsident an der Macht, dem Jahrzehnte währende Partnerschaften wenig gelten, wenn sie nicht vollumfänglich dem eigenen Interesse dienen. 

Deutschland traut sich nicht wirklich

Unter diesem inneren und äußeren Druck die Europäische Union zu stabilisieren oder gar fortzuentwickeln, wie es beispielsweise der französische Präsident Emmanuel Macron vorhat, erscheint äußerst schwierig. Hinzu kommt, dass seine wichtigste Partnerin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich nur sehr vorsichtig vorwagt. Mehr als ein zögerliches Ja zu einem eigenen Haushalt für die Eurozone war bislang nicht drin – und allein das hat mehr als ein Jahr gedauert.

Stattdessen muss sich Brüssel mit einer irrlichternden italienischen Regierung auseinandersetzen. Rom nutzt jede Chance, um Brüssel schlecht zu machen und wischt jedes Kooperationsangebot mit Genuss zur Seite. Selbst auf diesem sonntäglichen Brexit-Gipfel musste die Kanzlerin am Rande mit Italiens Ministerpräsident Guiseppe Conte über seine Budgetpläne reden.

Umso wichtiger ist es, dass die verblieben 27 EU-Staaten die richtigen Schlüsse aus den mehr als zwei Jahre andauernden Brexit-Gesprächen ziehen. Sie sollten die gezeigte Geschlossenheit jetzt auf anderen Feldern nutzen. Ein Beispiel: Ja, Europa braucht Wachstum. Italien hätte beispielsweise bereits vor einigen Jahren ein Investitionspaket gut getan. Es hätte dazu beigetragen, die Ungleichheit der Lebensverhältnisse in der Eurozone zu mindern. Aber gleichzeitig müssen die Italiener ihre strukturellen Probleme angehen und dürfen nicht nur drauf hoffen, dass sie im Fall eines Falles schon irgendjemand retten wird. Dafür ist das Land mit seinen 2,3 Billionen Euro Schulden einfach zu groß.

Großbritannien als Vermittler fällt nun weg

Die EU-Mitgliedsländer sollten sich auch in der Migrationsfrage einsichtiger zeigen. Staaten wie Italien oder Spanien haben durchaus recht, wenn sie sich bei diesem so wichtigen Thema von der EU allein gelassen fühlen. So gut ein besserer Schutz der EU-Außengrenzen auch sein mag, ohne einen funktionierenden Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge wird es dauerhaft nicht gehen.

Großbritannien, ein Land, das oftmals hinter den Kulissen als Vermittler aufgetreten ist, wird nun nicht mehr helfen können. Europa muss in den kommenden Jahren zeigen, ob es tatsächlich so vereint ist, wie es diesen Tagen beteuert.

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