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Ausstellungen: Bilder, die die Welt bedeuten

Völlig von den Sockeln

Florian Slotawa: Stuttgart sichten.
Deichtorhallen, bis 20. Januar

Die Ausstellung ist ein Witz. Aber ein wirklich guter. Der Berliner
Künstler Florian Slotawa borgte sich annähernd 80 Skulpturen aus der Sammlung der
Staatsgalerie Stuttgart aus – ein poliertes Hühnerei ist darunter, Ernst Barlachs
Spaziergänger,
eine stehende Madonna mit Kind aus dem Jahr 1500, eine Büste Paula Modersohn-Beckers, eine kniende Venus aus Marmor, eine Neonröhren-Arbeit von Dan Flavin – was
eben so zusammenkommt, wenn wache Kuratoren mit den nötigen Mitteln ausgestattet sind. Die
geborgten Skulpturen transportierte er in die nördliche der beiden Deichtorhallen und
arrangierte sie dort neu. Der Raum sieht aus, als wären die Kunstwerke vom Sockel geklettert
und hätten sich selbst angeschaut, was so los ist. Und das führt natürlich zu grotesken
Szenen: Die Statuen stehen in Grüppchen zusammen, manche machen eine Polonaise, Paula Modersohn-Becker glotzt einer halb nackten Venus unverhohlen aufs Gesäß. Im hinteren Teil
liegt ein 25-Meter-Rohr aus Messing,
Anfang und Ende der Unendlichkeit
von Walter De Maria, um die Ecke parkt ein Porsche mit dem Messing-Kopf von Toni Freeden auf dem
Fahrersitz.

Slotawa hat auch ein paar eigene Stücke dazugestellt, etwa seinen
OBI-Picasso,
eine
Nachbildung der
Badenden
mit Utensilien aus dem Baumarkt. Es macht Spaß, hier
hindurchzuspazieren, weil man die Kraft der Ideen spürt, die in den Kunstwerken steckt, und
sie ausnahmsweise mal nicht anbeten muss. Nur die stehende Madonna mit Kind wirkt angesichts
dieser mangelnden Ehrfurcht etwas verloren.
Florian Zinnecker 

Ganz dicht: Dieses Foto von Hongkong nennt Michael Wolf "Architecture of Density".

Ganz dicht: Dieses Foto von Hongkong nennt Michael Wolf “Architecture of Density”.
© Florian Slotawa, Foto: Henning Rogge/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Gegen die Gleichmacherei

Michael Wolf: Life in Cities.
Deichtorhallen, Haus der Photographie, bis 3.
März

Hamburg ist keine Großstadt. Das ist eindrucksvoll zu sehen in
Life in
Cities

im Haus der Photographie. Die Ausstellung zeigt Arbeiten von Michael Wolf, einem
preisgekrönten Pressefotografen. Er hat für den
stern
aus Asien berichtet, bekannt
wurde er durch seine flirrenden Aufnahmen von Megacitys wie Hongkong (kommt mit Speckgürtel
auf geschätzte 7,4 Millionen Einwohner), Chicago (9,2 Millionen) und Tokio (38 Millionen).

Wolf interessiert, wie die Menschen in diesen Städten leben und überleben, wie sie mit den
Arbeitsbedingungen und um ihre Würde ringen. Für die Serie
The Transparent City
fotografierte er die Glasfronten der Bürotürme von Chicago. Auf den ersten Blick sieht man nur
Glätte und Glanz. Doch Wolf isoliert aus diesen Architekturansichten kleine Details, die er so
stark vergrößert, dass sie für das Auge überhaupt erst sichtbar werden: Menschen, die hinter
den Glasscheiben zu erkennen sind. Sie reiben sich die Augen, stützen ihre Köpfe, glücklich
wirken sie nicht. Aus heimlich fotografierten Porträts besteht auch die Serie
Tokyo
Compression

. Sie zeigt Menschen, die in der Tokioer U-Bahn zur Rushhour
aneinandergedrängt sind.

Michael Wolf sammelt nicht nur Fotos, sondern auch Objekte, urbane Readymades, Kunst aus
Versehen: Drahtkleiderbügel aus chinesischen Wäschereien, die ihre Vorbesitzer verziert und
verformt haben. Aus Massen- und Einwegprodukten wurden so erhaltenswerte Objekte. Man kann
sich – krumm und schief und einzigartig – behaupten gegen die Gleichmacherei der
Megacitys.
Oskar Piegsa

Grauenvolle Leerstellen: "Untitled Images" des syrischen Künstlers Khaled Barakeh

Grauenvolle Leerstellen: “Untitled Images” des syrischen Künstlers Khaled Barakeh
© Khaled Barakeh

Vermitteltes Leid

Khaled Barakeh: Blaue Stunde.
Museum für Kunst und Gewerbe, bis 13.
Januar

Egal wie spät es ist, in diesem Raum sind Tag und Nacht immer gleich weit
voneinander entfernt. Der Moment dazwischen heißt wie diese Ausstellung: blaue Stunde. Sie
zeigt eine Zeit des Übergangs, eine Zeit der Unschärfe. Der Blick fällt auf die blau
schimmernden Projektionen von Palästen und Wahrzeichen. Es sind die Silhouetten von Gebäuden,
die im syrischen Reisepass in die Seiten gedruckt sind, eingestanzte kollektive Identität.
Aber die Projektionen auf der Wand sind flüchtig, flackern, verschwinden. Die in den Pässen
der Syrer noch vorhandenen Denkmäler sind längst zerstört.

Der syrische Künstler Khaled Barakeh holt die Realität des syrischen Elends ins Museum.
Genauer gesagt: In einen einzigen Raum im Museum für Kunst und Gewerbe. Die Ausstellung ist
hochkonzentriert, viele Werke auf wenig Platz, fast bekommt die Kunst dadurch etwas
Bedrohliches.

Barakeh hat in Damaskus an der Akademie Malerei studiert, seine Werke haben ihren Ursprung im
konkreten Leid seiner Landsleute, sie machen betroffen, ohne Betroffenheitskunst zu sein.
Barakeh arbeitet mit verschiedenen Medien, die Ausstellung versammelt Skulpturen, Fotografien
und Installationen. Und während man sich noch fragt, ob die Farbkleckse auf der Leinwand einen
vielleicht an Jackson Pollock erinnern, erfährt man, dass es keine Leinwand, sondern ein
Kissenbezug ist, in den eine geschminkte Frau hineingeweint hat.
Xaver von Cranach

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