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Freiburg: Wie rettet man ein Idyll?

Ein Freitagabend in Freiburg. Das Rathaus ist fast leer, nur in einem Raum sitzen noch
sieben Menschen um einen Tisch. Der parteilose Oberbürgermeister Martin Horn und der
Polizeipräsident Bernhard Rotzinger haben sich bereits gestern hier zur Lagebesprechung
getroffen. Die anderen Teilnehmer kennen sich nicht: Pia Rennette, Jobcoach für Flüchtlinge,
der Psychoanalytiker Gehad Mazarweh, der Clubbetreiber Hansi Breier, der syrische Erzieher
Ristem Haftaro und die Medizinstudentin Noemi Wiessler. Auf unsere Einladung hin wollen sie
miteinander ins Gespräch kommen. Denn was zuletzt in Freiburg passiert ist, beschäftigt
sie.

DIE ZEIT:
Frau Wiessler, Sie leben seit sieben Jahren in Freiburg und studieren hier Medizin. Im
Oktober 2016 wurde Ihre Kommilitonin Maria L. auf dem Heimweg von einer Fachschaftsparty von
einem jungen Mann vergewaltigt und ermordet. Fast auf den Tag genau zwei Jahre später ist
die Stadt nun wieder bundesweit in die Schlagzeilen geraten: Mehrere Männer vergewaltigten
nach einem Discobesuch ein 18-jähriges Mädchen. Haben Sie mittlerweile Angst, wenn Sie
nachts allein in Freiburg unterwegs sind?

Freiburg: Noemi Wiessler, 28, Medizinstudentin

Noemi Wiessler, 28, Medizinstudentin
© Lena Giovanazzi für DIE ZEIT

Noemi Wiessler:
Angst würde ich es nicht nennen. Ich bin aber sensibler geworden. Ich jobbe im Kreißsaal
des Diakoniekrankenhauses. Dort mache ich ausschließlich Nachtdienste. Das heißt, ich gehe
im Winter aus dem Haus, wenn es schon dunkel ist, und komme heim, wenn es noch nicht hell
ist. Die Strecke zwischen meiner Wohnung und dem Krankenhaus führt an einem Flüchtlingsheim
vorbei und ist teilweise nicht gut beleuchtet. Wenn ich da zu Fuß langmuss, weil die Bahn
nicht fährt, telefoniere ich auf dem Weg mit meinem Freund. Ich bin dann zwar immer noch
allein, aber dass er weiß, wo ich gerade bin, und dass ich dann mit ihm reden kann, gibt mir
ein Gefühl von Sicherheit. Als ich ihn zum ersten Mal mitten in der Nacht angerufen habe,
war er ganz erstaunt.

ZEIT:
Kann er Ihre Beunruhigung nicht verstehen?

Wiessler:
Schon, aber er selbst hat kein Problem damit, nachts allein durch die Stadt zu laufen. Ich
kenne keine Männer, die sich im Dunkeln auf der Straße unwohl fühlen. Für junge Frauen ist
das anders.

Pia Rennette:
Das finde ich furchtbar. Ich habe Anfang der Achtzigerjahre hier in Freiburg Jura studiert,
dann war ich lange im Ausland, heute arbeite ich wieder hier, als Jobcoach für Flüchtlinge.
Also, damals war ich immer alleine unterwegs. Das war für mich selbstverständlich. Ich
fühlte mich nie bedroht. Da hat sich etwas verändert.

Martin Horn:
Ich weiß, dass es einigen Freiburgerinnen geht wie Ihnen, Frau Wiessler. Das macht mich als
Bürgermeister betroffen.

ZEIT:
Maria L. wurde von einem afghanischen Flüchtling getötet. Beim aktuellen Fall der
Gruppenvergewaltigung waren es überwiegend junge Männer aus Syrien, die sich an dem Mädchen
vergingen. Hat Freiburg ein Problem mit Flüchtlingen, Herr Oberbürgermeister?

Horn:
Dass die Tatverdächtigen Flüchtlinge sind, kann man nicht leugnen. Ich werde an dieser
Stelle gar nicht erst versuchen, das schönzureden. Trotzdem glaube ich, dass Freiburg eine
sehr weltoffene, liebens- und lebenswerte Stadt ist. Es war richtig, dass wir Menschen
unseren Schutz angeboten haben. Aber alle, die zu uns kommen, haben sich an Recht und Gesetz
zu halten. Menschen, die das ausnutzen, haben ihr Gastrecht missbraucht.

ZEIT:
Herr Polizeipräsident, der mutmaßliche Haupttäter Majd H. war kein Unbekannter. Vor der Tat
sind bei der Polizei 28 Delikte aufgelaufen, die er begangen haben soll. Welche Delikte sind
das?

Bernhard Rotzinger:
Es ist eine Deliktstruktur, die sich quer durchs Strafgesetzbuch zieht. Seit der junge Mann
2014 nach Deutschland kam, ist es immer weiter eskaliert. Von Urkundenfälschung und Fahren
ohne Fahrerlaubnis über Drogenhandel bis hin zu Körperverletzung.

Rennette:
Bei unseren Kursen zum Bewerbungstraining für Flüchtlinge diskutieren wir oft über solche
Problemfälle. Da kommt immer die Frage: Ja, warum greift die Polizei denn nicht härter
durch? Die Flüchtlinge kennen sich ja untereinander – und registrieren genau, dass die
Drogendealer einfach weiter frei herumlaufen. Es stößt bei ihnen teilweise auf
Unverständnis, dass in unserem Rechtsstaat nicht durchgegriffen wird.

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