/Duschen gegen Rechts: Duschgel “Anti-Fa”: Dem FC St. Pauli droht Ärger

Duschen gegen Rechts: Duschgel “Anti-Fa”: Dem FC St. Pauli droht Ärger

Mark Spörrle
© Vera Tammen

Guten Morgen,

wer bisher nach einer sinnbildlichen Dokumentation der Stimmungslage in der Stadt suchte, hatte es schwer. Hilfsweise ließen sich allenfalls die Momentaufnahmen
aus den Radarfallen heranziehen; Fotos, in denen sich allerdings oft schon die düstere
Ahnung spiegelt, in diesem Moment tatsächlich abgelichtet worden zu sein, und
das für verflixt viel Geld. Dann sind da noch all die Überwachungskameras im öffentlichen Raum; doch wer kann (und darf) schon aus all ihren
Aufnahmen einen Mittelwert unserer Stimmungen erstellen?

Jetzt aber geht das;
zumindest bei einer Kamera. Die ist irgendwo in der HafenCity aufgebaut und
nimmt den Gesichtsausdruck von Passanten auf. Ein Algorithmus errechnet daraus die kollektive Stimmung – und ein großes Gesicht aus Stahl und Neonröhren gibt die
vermeintliche Gefühlslage der Menschen im Stadtteil wieder. Die acht Meter hohe Skulptur “Public Face” der Künstler Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer auf der Kibbelstegbrücke kann lächeln, traurig, zornig oder
überrascht blicken. Und soll, so die HafenCity-Kuratorin
Ellen Blumenstein,
auch auf Überwachungsinstrumente im öffentlichen Raum aufmerksam machen. Mit
dem überdimensionalen Smiley — oder aber Zornie – startet Blumensteins
Kulturprogramm “Imagine the City”,
das die Mission hat, Kunst in die HafenCity zu holen, in
Form von Aktionen, die Menschen mit einbeziehen. Die aktuelle läuft noch genau
ein Jahr; gespeichert würden die Filmaufnahmen natürlich nicht. Und jetzt
wissen Sie, warum sich in der HafenCity so viele wild grimassierende Menschen
herumtreiben …

Stadt steigt in den Häuserkampf ein

Lange genug schon treiben Immobilienhaie ihr Unwesen in der
Stadt, verbreiten Angst und Schrecken. Mit viel Geld kaufen sie auf, was nicht
niet- und nagelfest ist, modernisieren und treiben im Anschluss die Preise in
absurde Höhen. Die Folge: Immer mehr Hamburger können sich das Wohnen in der Stadt
kaum noch leisten. Jetzt aber hat die Stadt selbst die Zähne gefletscht und
einem Immobiliengiganten die Beute rechtzeitig abspenstig gemacht. Und das ganz
einfach: Sie hat erstmals das Vorkaufsrecht bemüht und damit das Haus in
der Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli selbst gekauft. Die zuständigen Politiker
jubeln über den Coup. Können aber auch die Mieter die Korken knallen lassen?
Kollege Christoph Twickel hat sich die Sachlage genau angesehen. Zu welchen
ernüchternden Schlüssen
er nach seiner Recherche kommt, ist in seinem Text “Das
ist die Härte”
im Hamburg-Teil der aktuellen ZEIT nachzulesen, digital
hier
oder in der Kioskausgabe.

Mehr Referendare für Hamburger Schulen

Neue Lehrer braucht die Stadt – jedenfalls wenn Hamburger Schulen
weiterhin personell gut dastehen sollen. Schulsenator Ties Rabe (SPD)
kündigte gestern an, die Stellen für Referendare noch einmal aufstocken zu
wollen. Von Februar 2019 bis August 2020 sollen schrittweise 360 neue
Ausbildungsplätze für angehende Lehrkräfte an den Schulen geschaffen werden.
Damit könnten jedes Jahr 810 neue, fertig ausgebildete Lehrer
bereitstehen. Die Nachfrage ist hoch, schon heute kommen viele Referendare aus
anderen Bundesländern, wie Kai Kobelt, Vorsitzender der Lehrerkammer,
berichtet: Im Konkurrenzkampf um den Nachwuchs sticht das “angesagte” Hamburg
viele andere Standorte offenbar seit Jahren aus. Für die CDU-Fraktion ein
Kritikpunkt; die FDP hat damit weniger Probleme. Liberale und Linke sorgen sich
eher um Qualität als um Quantität, sie fordern bessere Weiterbildung von
Lehrern und Referendaren. Letzteres ist auch für die Elternkammer entscheidend:
“Wir brauchen die Referendare, aber die Betreuung muss gewährleistet sein”,
sagt die Vorsitzende Antje Müller. Wenn Referendare statt ausgebildeter
Lehrer reguläre Unterrichtsstunden übernähmen – was die Schulbehörde
grundsätzlich möglich macht und was Kobelt zufolge auch viele Referendare in
Anspruch nehmen –, dann bestehe die Gefahr, dass die Unterrichtsqualität
abnähme, zum Nachteil der Schüler. Kai Kobelt sieht noch ein weiteres
Problem: An den Hochschulen werde es für Lehramtsstudenten eng. “Gerade in den
Erziehungswissenschaften ist es ein Problem, dass Professorenstellen nicht
nachbesetzt
werden”, sagt Kobelt. Hamburg sei also weiterhin auf den Zulauf
aus anderen Ländern angewiesen.

Harburg – Hamburg: Fähre ahoi?

Vorbei die verschwendete Lebenszeit im Stau vor dem Elbtunnel, vorbei
die Zeiten des ungewollten Körperkontakts in der Sardinenbüchse S-Bahn auf
der Pendlerstrecke Harburg – Hamburg?
Unternehmer Arne Weber von HC
Hagemann
möchte den Fährbetrieb zwischen Harburg und Hamburg wieder
aufleben lassen – auf Eigeninitiative (das “Hamburger Abendblatt” berichtete).
Von einem Linienverkehr, der schneller als die S-Bahn sein soll, ist
darin die Rede. Steht das Ende der Pendlermisere kurz bevor? Nur mal
langsam mit den jungen Fähren! “Die Fähre soll kein Äquivalent zur Linie 62
nach Finkenwerder werden. Uns geht es in erster Linie um eine Art
Shuttle-Verbindung für unsere Hotelgäste”,
entkräftet Weber uns gegenüber.
Hotel? Wie? Was? Am Harburger Binnenhafen entsteht aktuell der Hamburg
Innovation Port
. Auch ein Hotel mit 600 Zimmern ist geplant.  “Wir wollen die Lage für unsere Hotelgäste so
sexy wie möglich machen und dazu gehört auch eine gute Erreichbarkeit”, erklärt
er. Der Linienverkehr sei zunächst nicht angedacht. Ach so. Mhm.
Immerhin: “Sollte der Bedarf da sein, könnte es sich dahin entwickeln.” Aber
passen überhaupt all die Fähren auf die Elbe, die nötig wären, um das Leid der
Nahverkehrsgeplagten zu lindern? Die Verkehrsbehörde ist skeptisch: “Sicher, eine
Fährverbindung zwischen Harburg und der Innenstadt ist eine charmante Idee”, so Sprecher Christian
Füldner.
Ein Fährverkehr könne aber bei Weitem nicht so
leistungsfähig wie eine S-Bahn sein. Und gerade deren Angebot werde zum
Dezember mit dem Fahrplanwechsel noch einmal ausgebaut. Ob für ausgewählte
Gäste oder doch breite Masse – wie Webers Fährvorhaben en détail aussehen wird,
ist ohnehin noch unklar. Unter anderem sei er aktuell mit
Hamburg Port Authority und Hadag im Gespräch
. Weber: “Wir werden nicht
morgen ein Schild aufstellen und mit den Fahrten beginnen.” Sorry, liebe
S-Bahn-Geplagte!

Bildung auch für Eltern

Kindergarten und Schule als ganzheitliches Konzept gedacht – ist das
die Zukunft? Geht’s nach Ulrike Kloiber dann ja. Sie ist Gesamtleiterin
am Bildungshaus Lurup der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, das sich
nach dem Senator-Neumann-Preis für herausragende inklusive Arbeit nun
auch über den Deutschen Arbeitgeber-Preis für Bildung in der Kategorie
“Frühkindliche Bildung” (und damit über 10.000 Euro) freuen kann. Kloibers
Credo: “Bildung fängt nicht mit der Schule an. In den ersten drei Jahren muss
in die Kinder investiert werden, das spart langfristig viel Geld und
Reparatur.” Am Bildungshaus sei genau das Konzept – und deshalb möglich, weil
Kita und Schule zu einem Träger gehören, der auch Therapeuten stellt. Für
Kinder mit Behinderungen bedeute das beispielsweise, dass sie ab der achten
Lebenswoche bis zum Ende des vierten Schuljahres betreut und gebildet werden.
Therapeuten begleiten den Weg durchgängig, die Übergänge sind fließend,
personelle Wechsel werden vermieden. Auch für Eltern sei das eine große
Entlastung. “Eine Unterschrift, und wir erledigen alles”, so Kloiber.
Und die ganzheitliche Bildung schließt auch die Eltern ein. Das sei gerade in
sozial schwächeren Stadtteilen wie Lurup wichtig. “Viele der Eltern sind
bildungsfern, deswegen schulen wir sie direkt mit”, erzählt Kloiber. Es gibt
Sprachkurse und eine Erziehungsberatungsstelle im Haus. Gerade in
Armutsgebieten sei es die Aufgabe, den Bildungserfolg der Kinder ganz dringend
von deren Herkunft zu entkoppeln, betont Ulrike Kloiber. Nur so entstehe
Bildungsgerechtigkeit. Der frühe ganzheitliche Ansatz sei eine Investition
in die Zukunft
: “Viele andere Kitas und Schulen sollten sich in diese
Richtung auf den Weg machen.”

Duschgel “Anti-Fa”: Dem FC St. Pauli droht Ärger

Wer sich mit Haut und Haar dem Einsatz gegen rechts verschrieben hat,
dürfte auf dieses Produkt nur gewartet haben: Der FC St. Pauli bietet in seinem
Shop ein Duschgel namens “Anti-Fa” an. Um dieses Wortspiel noch zu
übertreffen, wird es als “die wilde Frische der Straße” beworben und kommt im
schwarz-weißen Totenkopf-Look mit rotem Stern daher. Immerhin: Das Zeug riecht
nicht nach Tränengas. Es soll sogar das Duschen für den guten Zweck
befördern, denn die Erlöse aus dem Verkauf von Haut- und Haarwaschmittel sowie
der Anti-Fa Softcreme sollen der Initiative “Laut gegen Nazis”
zugutekommen. Saubere Sache? Bei der AfD sieht man das anders. “Linke
Gewalt darf nicht weiter salonfähig gemacht werden!”, twitterte der
AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess. Der Name des Duschgels sei
blanker Hohn – nicht etwa gegen die Marke “Fa”, sondern gegen die Polizei.
Schließlich gewährleisteten die Beamten Woche für Woche rund um den
Fußballspielbetrieb die Sicherheit. Dass nun ein Fußballverein mit den
Insignien einer Gruppe Marketing betreibe, die in seinen Augen gewaltbereit,
linksextrem und verfassungsfeindlich
ist, das geht dem AfD-Mann über die
Hutschnur. Da müsse der DFB einschreiten, twittert Hess – und den FC St. Pauli “zu Verfassungstreue anhalten”. Der Verein verbuchte die Empörung des
AfD-Manns vorerst als Zeichen, den Nerv getroffen zu haben. Doch nun droht
ernsthafter Ärger: Auch der Konzern Henkel sieht sich veräppelt. “Um das
positive Image unserer Marke Fa zu schützen”, erwäge man rechtliche Schritte, twittert die
Firma
. Man sei im Gespräch mit den Verantwortlichen. Dazu Andreas
Rettig,
 Geschäftsführer des FC St. Pauli: “Wir haben ebenfalls
von den Aussagen der Firma Henkel erfahren und stehen dazu mit unserem Partner
Budni und auch mit Henkel im Austausch.”

Lesevertiefung

Drei Buchempfehlungen fürs Wochenende…

Kunst Sie möchten sich noch etwas länger am farbenprächtigen Herbstlaub erfreuen? Dann empfehlen wir die »Blätter« von Manfred Holtfrerich. Seit 1990 malt der Hamburger Künstler Herbstblätter in Originalgröße. Bisher umfasst die Serie 236 Aquarelle, die nun erstmals in einer Publikation versammelt sind.

Manfred Holtfrerich: Blätter 1 – 236, König, 39,80 Euro.

 

Architektur Einen reich bebilderten Überblick über Hamburgs neueste Bauprojekte gibt das aktuelle Architekturjahrbuch. Neben einem Schwerpunkt zum Wohnungsbau enthält es in diesem Jahr ein historisches Porträt Fritz Trautweins, des Architekten des Fernsehturms, der U-Bahn-Station Landungsbrücken und der Grindelhochhäuser. Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2018/19, Junius, 39,90 Euro.

 

Kinderbuch »Das ist kein Buch«, behauptet der glänzende Pappband im Titel. Und tatsächlich entpuppt sich sein Inneres als Werkzeugkasten, Schmetterling, Zelt, Klavier, Laptop und vieles mehr. Und wenn Bücher auch vielseitige, die Fantasie anregende Spielobjekte sein dürfen, ist es wohl doch ein Buch.

Jean Jullien: Das ist kein Buch, Kunstmann, 16 Euro, für das Alter von 1 bis 3 Jahren.

 

… ausgewählt von Ann-Kristin Hohlfeld, Sautter + Lackmann, Mitte

Was geht

Flimmern mit Orgel: Matahi und
Teri sind verliebt. Sie aber ist zur Priesterin bestimmt und damit für alle
Männer ein “Tabu”. Hat die Liebe dennoch eine Chance? Den Stummfilmklassiker
von Friedrich Wilhelm Murnau
aus dem Jahr 1931 begleiten Daniel Stickan an
der Orgel und Hans-Christoph Hartmann am Saxofon.

Paul-Gerhardt-Kirche,
Georg-Wilhelm-Straße 121, 19 Uhr, 10 Euro

Was bleibt

Theater zwischen Büchern: Orlando
taucht aus Virginia Woolfs Buch ein in die Wirklichkeit, betritt mit Krabats
Kantorka die Bühne. Ihnen gleich tun es verschiedene Hauptfiguren der
Literatur, spielen, erzählen und tanzen Szenen aus ihrer Geschichte. Theaterperformance
des Vereins dell’arte.

Bücherhalle
Eimsbüttel
, Doormannsweg 12, Fr, 16.30–18 Uhr, Sa, 10–14 Uhr,
Eintritt frei

Was kommt

Kulturparty: Es war im
Jahr 1898, als Harburger Bürger sich zusammenrauften. Nicht um Revolution oder
Politik ging es ihnen, nein, die Hanseaten wollten Kultur fördern. Dank ihrer
Bemühungen feiern das heutige Archäologische Museum Hamburg und das Stadtmuseum
Harburg
ihren 120. Geburtstag. Die Häuser locken mit freiem
Eintritt, kostenlosen Führungen und Kinderaktionen.

Archäologisches
Museum
, Dauerausstellung: Harburger Rathausplatz 5;
Sonderausstellung: Museumsplatz 2; Sa/So, je 10–17 Uhr, Eintritt frei

Was weihnachtet: Dieses
Wochenende eröffnen wieder Weihnachtsmärkte, bringen Glühwein und
Schmalzkuchen unter die Leute. Der Markt der Kunsthandwerker bietet außerdem
die Chance auf außergewöhnliche Geschenke, ebenso der Adventsmarkt im Museum
Elbinsel. Wer sich lieber klassisch von Gleichgesinnten lässt, genießt ab
Montag die Adventslichter des Fleetweihnachtsmarkts.

Kunsthandwerkermarkt: Torhaus Wellingsbüttel,
Wellingsbüttler Weg 75B, Sa/So, 11–18 Uhr;

Adventsmarkt: Museum
Elbinsel
, Kirchdorfer Straße 163, So, 11–17 Uhr;

Fleetmarkt: Fleetinsel, zwischen
Ludwig-Erhard-Straße und Rödingsmarkt, ab Mo, 12–21 Uhr

Hamburger Schnack

Weihnachtsbasar in Barmbek. Besucherin greift nach einer Minikrippe aus Holz und stellt fest, dass Josef fehlt.

Zur Anbieterin: »Hier haben sie sogar eine alleinerziehende Mutter dabei.« Beide betrachten die Darstellung. Prompte Antwort der Verkäuferin: »Was? Hat der Kerl sich schon so früh davongemacht?«

 

Gehört von Petra Quaas

Meine Stadt

Herbstidylle in der Nähe von Hamburg

Herbstidylle in der Nähe von Hamburg
© Helga Schug

Das war sie wieder, die Elbvertiefung. Wollen Sie uns Ihre Meinung
sagen, wissen Sie etwas, über das wir berichten sollten? Schreiben Sie uns:
elbvertiefung@zeit.de

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Montag lesen Sie hier Sigrid Neudecker, wenn Sie mögen!

Ihr

Mark Spörrle

 

PS: Gefällt Ihnen unser Letter, leiten Sie ihn gern weiter. Haben Sie
ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich an
unter www.zeit.de/elbvertiefung. Dann schicken wir Ihnen die neue
Elbvertiefung, solange Sie wollen, immer montags bis freitags ab 6 Uhr.

 

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