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Brexit: Die Gegner sitzen überall

Der Brexit ist für die britische Premierministerin Theresa May zur Millimeterarbeit geworden. In den vergangenen Wochen wurde in Brüssel um jedes Wort, um jeden Halbsatz in der politischen Erklärung und im Austrittsvertrag gerungen. Denn je größer der Interpretationsspielraum ist, desto eher kann Theresa May Skeptiker zu Hause überzeugen, im Parlament doch für den Kompromiss zu stimmen.

Aber welche Chancen hat May überhaupt noch auf eine Mehrheit? Im britischen Unterhaus gibt es 639 stimmberechtigte Abgeordnete. Für eine Parlamentsmehrheit braucht May 320 Stimmen. Die Konservativen kommen lediglich auf 316. Labour hat 257 Abgeordnete, die schottische SNP 35, die Liberalen zwölf, die nordirische DUP zehn und andere Splitterparteien 13. Die Fronten für oder gegen Mays Kompromiss verlaufen jedoch nicht entlang der Parteigrenzen, sondern quer durch alle Fraktionen. Das macht es extrem schwierig für die Premierministerin. Wer will was im britischen Unterhaus? Ein Überblick

Die Brexit-Hardliner

Raus aus allem und zwar so schnell wie möglich. So ungefähr kann die Position der Brexit-Hardliner unter den britischen Tories zusammengefasst werden. Angeführt wird die sogenannte European Research Group (ERG) vom Rechtsaußen Jacob Rees-Mogg. Die ERG bildet quasi eine Partei in der Partei und drängt seit Beginn der Volksabstimmung auf eine komplette Loslösung von der EU: Keine Zollunion, keinen Binnenmarkt, keine Kompromisse – im Zweifel lieber No Deal. Alles andere würde Großbritannien angeblich zu einem Vasallenstaat der verhassten EU machen. Für sie ist der zwischen London und Brüssel ausverhandelte Austrittsvertrag Verrat am Volk und kein echter Brexit.

Mit ihrem Versuch, Theresa May zu stürzen, ist die ERG in der vergangenen Woche jedoch gescheitert. Für den Antrag auf ein Misstrauensvotum sind 48 Tory-Abgeordnete erforderlich. Aber letztlich haben bislang nur 24 den dafür notwendigen Brief auch abgeschickt. Die lose organisierte ERG umfasst zwischen 50 und 65 Abgeordnete. Darunter: der ehemalige Brexit-Minister David Davis und Ex-Außenminister Boris Johnson.

Auch die Hardliner wissen, dass Großbritannien am 29. März nicht sofort und vollständig aus der EU austreten kann. In der Übergangsphase, bis ein Handelsabkommen ausgehandelt ist, soll es nach ihrem Willen aber nur rudimentäre Notlösungen geben, um ein komplettes Chaos beispielsweise im Flugverkehr oder der Medikamentenversorgung zu verhindern. Langfristig soll sich Großbritannien von der EU komplett lossagen und nur durch ein sehr lockeres Freihandelsabkommen mit der Union verbunden bleiben. Als Vorbild sehen sie Ceta, das Abkommen zwischen zwischen der EU und Kanada.

Die gemäßigten Tory-Brexiteers

Etwa 130 konservative Abgeordnete stehen loyal zu Theresa May. Sie werden wahrscheinlich geschlossen für den mit der EU ausgehandelten Kompromiss stimmen. Hinzu kommen etwa 80 Parlamentarier, die eher May zuzurechnen sind, aber verhaltene Kritik üben. Sie sehen insbesondere den sogenannten Backstop, also die Notlösung für die nordirische Grenze, kritisch. May ist es am Donnerstag zunächst nicht gelungen, diese Zweifler zu überzeugen. Mehrere Abgeordnete forderten die Premierministerin auf, den Backstop aus dem Austrittsvertrag streichen zu lassen. Das ist aber nicht mehr möglich. Damit steigt das Risiko, dass auch ein Teil der loyalen Tories gegen den Kompromiss stimmen könnte. Mays Kalkül: Auch diese Abgeordneten werden letztlich einlenken, wenn sie zwischen einem chaotischen EU-Austritt ohne Vertrag und dem ausgehandelten Kompromiss wählen müssen.

Flussdiagramm mit den möglichen Ausgängen der Brexit-Verhandlungen

Proeuropäische Tory-Abgeordnete

Auch unter den Tories gibt es einige, die sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU aussprechen. Sie lehnen Mays Kompromiss daher ab. Sie hoffen darauf, dass es irgendwie zu einer zweiten Volksabstimmung kommt. Die Gruppe besteht aus etwa 35 Parlamentariern. Der Bruder von Boris Johnson, der jüngst zurückgetretene Transport-Minister Jo Johnson, gehört beispielsweise zu diesen Remainern. Dass sich im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit findet, die ein erneute Volksabstimmung einleitet, ist  äußerst unwahrscheinlich. May hofft daher, dass sie letztlich für ihren Brexit-Vertrag stimmen, um das Chaos eines No Deal zu verhindern.

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