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Friedrich Merz: Ein überflüssiger Tabubruch

Seit Friedrich Merz vor einigen Wochen seine Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz ankündigte, hat man einen erstaunlich weichgespülten Kandidaten erlebt. Der neue Merz schien nur wenig zu tun zu haben mit dem neoliberalen, von einer deutschen Leitkultur träumenden Haudegen, den man in Erinnerung hatte. Gut, es gab Merz unglücklichen Umgang mit seinen eigenen Vermögensverhältnissen. Aber jenseits davon machte er sich für das Thema Ökologie stark und äußerte sich ausgesprochen wohlwollend über die Grünen. Auch von knallharten, wirtschaftsliberalen Reformideen – wie etwa der Abschaffung des Mindestlohns – war nichts zu hören.

Am Mittwochabend allerdings hat Merz eine Forderung aufgestellt, mit der er einen breiten gesellschaftlichen Grundkonsens aufkündigt. Man müsse darüber reden, ob das individuelle Recht auf Asyl in der deutschen Verfassung so bestehen bleiben könne, wenn eine europäische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik ernsthaft gewollt sei, sagte er während einer der Regionalkonferenzen, auf denen sich die drei CDU-Kandidaten derzeit für den Parteivorsitz im Land vorstellen.

Damit stellt Merz eine der zentralen Errungenschaften des deutschen Grundgesetzes infrage. Ein individuelles Recht auf Asyl in der deutschen Verfassung zu verankern, war eine der wichtigsten Lehren, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Schrecken und Verbrechen des Nationalsozialismus gezogen wurden. Wie viele Tausende Menschen, die damals wegen ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, wegen ihrer politischen Haltung oder auch ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, hätten überleben können, wenn sie rechtzeitig ein Land gefunden hätten, das sie aufgenommen hätte? In ihrer Rede im Bundestag stellte Angela Merkel gestern die Frage, was wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Wer nun das Grundrecht auf Asyl schleifen will, erweckt den Eindruck, dass es bei ihm jedenfalls nicht besonders weit her ist mit dem Lernerfolg.

Konsens von Söder bis Kipping

Erschreckend ist aber auch, dass Merz damit eine Debatte aufmacht, die selbst in den Monaten mit sehr hoher Zuwanderung – also zwischen Herbst 2015 und Frühjahr 2016 – von keiner der damals im Bundestag vertretenen Parteien losgetreten wurde. Von CSU bis Linkspartei galt damals: Das Grundrecht auf Asyl wird – bei allen konkreten Änderungen im Umgang mit Flüchtlingen – nicht angegriffen. Darauf konnten sich sogar ein Markus Söder und eine Katja Kipping einigen. Selbst Sahra Wagenknecht, die bekanntlich eine eher migrationsskeptische Position vertritt, hat dieses Tabu nie gebrochen.

Darüber hinaus muss Merz sich fragen lassen, was er mit seiner Intervention überhaupt erreichen will. Denn das deutsche Recht wird längst von europäischem Recht überlagert. Und in ganz Europa – keineswegs nur in Deutschland – gilt: Jeder Asylantrag muss geprüft werden. Zwar sollen Flüchtlinge nach den Dublin-Verordnungen ihren Antrag dort stellen, wo sie die EU zuerst betreten haben. Wandern sie allerdings dennoch weiter – wie es 2015 in großer Zahl geschah –, ist jedes EU-Land nach EU-Recht verpflichtet, bei jedem Asylantrag, der an oder innerhalb seiner Grenzen gestellt wird, zumindest zu prüfen, welcher Staat für das Verfahren eigentlich zuständig ist.

Das und die Tatsache, dass in den Außenstaaten der EU damals Verhältnisse herrschten, die eine Rückführung oft unmöglich machten, sind die Gründe, warum 2015 so viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen – und blieben. Mit dem deutschen Grundgesetz hat das erst mal nichts zu tun. Nur in 1,3 Prozent aller Asylentscheidungen wurde zuletzt Schutz auf der Grundlage des deutschen Grundgesetzes gewährt. Der weit größere Teil der Flüchtlinge wird entsprechend dem europäischem Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Internationale Verträge also, die weiter gültig wären, auch wenn es kein Grundrecht auf Asyl in der deutschen Verfassung gäbe.

Das Asylrecht muss man nicht antasten

Wer die Probleme im Zusammenhang mit Asyl und Flüchtlingen lösen will, der muss sich also dafür einsetzen, dass die europäische Zusammenarbeit besser funktioniert. Und er muss – mit mühsamen Verhandlungen mit den Herkunftsländern – erreichen, dass diejenigen, die kein Asyl in Europa bekommen, den Kontinent auch wieder verlassen. Hier gibt es im Moment in der Tat große Vollzugsdefizite. Doch das deutsche Asylrecht, das wirklich eine Errungenschaft ist, auf die das Land stolz sein kann, muss dafür niemand antasten.

Sollte der eigentliche Sinn von Merz Äußerungen allerdings darin bestehen, sein Versprechen, als Parteivorsitzender die AfD auf die Hälfte zu reduzieren, wahr zu machen, dann hilft ihm vielleicht ein Blick nach Bayern: Der AfD hinterherzulaufen hat sich dort als wenig erfolgreiche Strategie entpuppt. Ein Parteivorsitzender Merz, der das deutsche Grundrecht auf Asyl infrage stellt, liefe Gefahr, am Ende nicht die AfD, sondern seine eigene Partei deutlich zu verkleinern.

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