/Geld in der Politik: Der nächste Kanzler muss ein Fliesenleger sein

Geld in der Politik: Der nächste Kanzler muss ein Fliesenleger sein

Große Deutschlandfrage: Könnte ein Millionär der nächste deutsche
Kanzler werden? Jetzt nicht falsch verstehen, können nicht im Sinne
von der Aufgabe gewachsen sein, sondern können im Sinne von dürfen.
Mit anderen Worten: Darf ein deutscher Kanzler reich sein? Was
natürlich eine seltsame Frage ist, weil man doch spätestens, wenn man
Kanzler ist, zumindest nicht mehr arm ist. Die Frage ist deshalb
aktuell, weil Friedrich Merz sich für den CDU-Vorsitz bewirbt. Seine
Chancen stehen nicht ganz schlecht, obwohl er sehr vermögend ist. Das
hat man in Deutschland nicht so gern. Dass einer die Volkspartei retten
will, ohne jemals einen Dispokredit in Anspruch genommen zu haben.

Derzeit geht man davon aus, dass der nächste Kanzler der CDU angehört.
Andernfalls müsste die große Deutschlandfrage lauten: Wäre es
denkbar, dass die nächste deutsche Kanzlerin in eine Parteispendenaffäre
verwickelt ist; oder: Könnte man sich eine Hundekrawatte auf einem
G7-Treffen vorstellen? Oder: Sollten die Grünen die Regierung anführen,
warum wird dann automatisch Robert Habeck als Kanzler gehandelt und
nicht Annalena Baerbock? Fragen über Fragen.

Friedrich Merz jedenfalls ist reich und will politische Macht. Warum
wird dieser Zusammenhang eigentlich vor allem in den Medien so stark
betont? Wie viele Intendanten, Verleger oder Chefredakteure, in deren
Häusern gerade eifrig der Zusammenhang von politischem Sachverstand und
Vermögensverhältnissen durchdiskutiert wird, stammen denn selbst aus
prekären Verhältnissen? Es gibt in diesem Land Menschen, die ohne ein
parlamentarisches Mandat über politische oder gesellschaftliche Macht
verfügen. Die meisten unter ihnen kennen die Lebensverhältnisse von Mitbürgern aus
unteren und mittleren Einkommensschichten nur aus Erzählungen, nicht
aber aus Erfahrung. In diesem Licht betrachtet wirkt Friedrich Merz als
Sohn einer angesehenen Juristenfamilie schon sehr viel weniger als
Fremdkörper, als der er im Moment einzig aufgrund seines Kontostandes
betrachtet wird.

Kann jemand mit viel Geld ein guter politischer Führer sein? Diese Frage
ist allein deshalb seltsam, weil bei allen Fähigkeiten, die in der
Öffentlichkeit als Qualifikation fürs Kanzlersein in Betracht gezogen
werden, eine fehlt: so etwas wie Intelligenz. Oder eine Art Intellektualität, die es einem ermöglicht, Verhältnisse auf der Grundlage von Kenntnis zu verstehen, ohne je davon betroffen gewesen zu sein. Immer geht es darum, ob
jemand Persönlichkeit hat. Dabei hat jeder Mensch auf der Welt eine
Persönlichkeit. Meistens handelt es sich um eine komplizierte
Persönlichkeit. Welche Art von Persönlichkeit benötigt man aber, um in der Politik erfolgreich zu werden? Genügt es, arm zu sein? Ist man, aus
der Mittelschicht stammend, prädestiniert dafür, besonders gute
Sozialpolitik zu betreiben? Seit wann erwartet man von der CDU
eigentlich eine großzügige Sozialpolitik für untere Einkommensschichten?

Es gibt politische Führer, die haben es im Ausland aufgrund ihrer
diplomatischen Qualitäten leichter als im Inland. Und dann gibt es
politische Führer, die international beliebt sind, weil sie einen freundlichen Charakter haben, politisch aber haben sie ihr Land keinen
Deut weiter gebracht. Und dann gibt es politische Führer, deren gesamtes
Ausmaß ihrer Persönlichkeit sich zeigt, nachdem sie das politische Parkett
verlassen haben.

Die Zahl der Männer, die ihr in der Politik erlangtes Renommee nach dem
Rücktritt von ihren Ämtern nicht dafür nutzen, NGO zu unterstützen,
sondern die freie Wirtschaft, ist groß. Bei dieser Form der Lobbyarbeit geht es
im Wesentlichen darum, bequem zu reisen, Geld anzuhäufen und bedeutend
zu sein. Im Fachjargon heißt es natürlich nicht Lobbyismus, sondern Kontakte verwalten oder Brücken bauen. Gerhard Schröder tut es für
Gazprom, Roland Koch für Bilfinger, Ole von Beust und Rezzo Schlauch tun es für
Ispat, Dirk Niebel für Rheinmetall und Friedrich Merz für alles
Mögliche. Sie landeten nicht bei Amnesty International, Unicef oder
Ärzte ohne Grenzen. Der Grund dafür ist wohl kaum Geldnot, sondern ein
soziokulturell bedingter Geltungsdrang. Manche Menschen scheinen diesen
Drang stärker zu verspüren als andere, und es mutet fast wie ein Zufall
an, dass einer in der Politik landet, der andere in der Wirtschaft, und
ein Dritter wird Funktionär im Sport.

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