/Fall Khashoggi: Die Diktatoren können ruhig schlafen

Fall Khashoggi: Die Diktatoren können ruhig schlafen

Man
kann Donald Trump vieles vorwerfen, eines aber nicht: mangelnde Beständigkeit. Durch das Handeln des
US-Präsidenten zieht sich ein Muster, das so simpel ist wie gefährlich: Wer
sein Ego streichelt und seine Kassen füllt, ist sein Freund, wer dies nicht
tut, ist sein Feind. Dieses fahrlässige Vorgehen ist im Mittleren Osten aber nicht nur Trumps Charakter geschuldet. Vielmehr setzt er eine Strategie fort, die seit Jahrzehnten die amerikanische Außenpolitik in der Region kennzeichnet und sich so zusammenfassen lässt: Wirtschaftsinteressen sind wichtiger als Menschenleben.

Die Despoten im Mittleren Osten sind für diese schmutzigen
Bündnisse geradezu prädestiniert: Sie haben Geld, einige sogar Öl, zudem verleiht ihnen
ihr autoritärer Führungsstil Einfluss. Dafür ist Trump im Gegenzug gern bereit,
ihre Verstöße gegen fundamentale Menschenrechte hinzunehmen. Und verwandelt so eine
ohnehin fragile Region im Federstrich in ein Minenfeld.

Den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sissi nennt Trump
einen “großartigen Freund”, der einen “fantastischen Job” mache. Sissi geht seit
seinem Putsch ins Amt 2013 mit extremer Härte gegen Kritiker vor, lässt
systematisch Menschenrechtler, Journalisten, Homosexuelle verhaften und
foltern, er hat die gesamte Zivilgesellschaft in den Untergrund
getrieben – doch einem Donald Trump ist das egal.

Dass
Trump nun wider besseres Wissen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman,
kurz MBS, mit einem Mord davonkommen lässt, ist deshalb leider nicht überraschend.
Doch die Folgen davon könnten schwerer wiegen als alle anderen davor.

Saudi-Arabien – Für Donald Trump geht die Wirtschaft vor
Saudi-Arabien bleibe trotz der Ermordung von Jamal Khashoggi ein starker Partner der USA, sagt Donald Trump. Deshalb werde man nicht auf Hunderte Milliarden verzichten.

© Foto: Leah Millis/Reuters

In
einem bizarren Schreiben spricht Trump MBS von jedweden politischen
Konsequenzen für die Tötung von Jamal Khashoggi frei, stellvertretend für die
USA, wo der saudische Journalist zuletzt im Exil gelebt hatte. Noch ist der
Mord an Khashoggi im Istanbuler Konsulat vom 2. Oktober nicht gänzlich
aufgeklärt. Doch kaum jemand bezweifelt mittlerweile, dass der Kronprinz selbst dahintersteckt. Selbst Trumps eigener Geheimdienst, die CIA, geht davon aus,
dass MBS persönlich den Mord an dem Regimekritiker befehligt hat. Trump indes weigert
sich, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, im Gegenteil: Die USA beabsichtigen,
“ein unverbrüchlicher Partner Saudi-Arabiens zu bleiben”, denn die Welt, so seine
Begründung, “ist ein sehr gefährlicher Ort”. America first!

Die Wahrheit interessiert Trump nicht

Erschreckend
daran ist: Trump macht sich noch nicht mal die Mühe, die Schuld von MBS abzustreiten.
Sein Statement macht klar: Er würde zu ihm stehen, selbst wenn klar belegt
wäre, dass er die Ermordung angewiesen hätte. Der Mord an Khashoggi sei zwar
“schrecklich”, doch habe der Kronprinz mehrfach versichert, nichts davon gewusst
zu haben, schreibt Trump. Ob das stimmt oder nicht, könne er nicht sagen:
“Vielleicht wusste er davon, vielleicht auch nicht.” Für Trump ist das auch zweitrangig, für ihn zählt allein,
mit Riad einen “großartigen Verbündeten” im Kampf gegen den Iran und
Terrorismus zu haben. 

Von
den inhaltlichen Verfehlungen abgesehen – das wahhabitische
Königreich bereitet mit seiner rigiden Auslegung des Islams seit Jahren
Extremisten den Boden – sendet diese Botschaft ein gefährliches Signal an die
Despoten im Mittleren Osten. Wenn sogar der amerikanische Präsident derart unverhohlen die Grundwerte der freiheitlichen Ordnung verhöhnt – Presse- und Meinungsfreiheit,
Strafverfolgung und Rechtsstaatlichkeit – dann können sie das doch erst recht. Sie
können sich darauf freuen, dass ihnen künftig aus den USA keine Vorträge mehr über Moral drohen, von Sanktionen und Bestrafungen ganz abgesehen.

Natürlich:
Der Westen hat schon lange ein schwieriges Verhältnis zu den Despoten im
Mittleren Osten. Auch die europäische Außenpolitik basiert
eher auf Interessen denn auf der Durchsetzung ihrer moralischen Überzeugungen. Auch sie
folgt einem einfachen Muster. Die Rhetorik klingt fordernd: Man mahnt die Despoten, die Menschenrechte zu wahren und zumindest halbwegs faire Wahlen durchzuführen. Dennoch unterstützt man Diktatoren wie Mubarak
und Gaddafi, auch wenn sie ihr eigenes Volk tyrannisieren, weil sie vermeintlich
für Stabilität sorgen und den Terror bekämpfen. An dieser Fehlkalkulation hat auch
der Arabische Frühling nichts geändert, obwohl den Europäern da sehr deutlich
vor Augen geführt wurde, was die Menschen in der arabischen Welt wollen – nämlich
das Gleiche wie sie selbst: Demokratie, die Wahrung der Menschenrechte, Meinungsfreiheit.

Bis heute sind den europäischen Regierungen Wirtschaftsdeals mit autokratisch geführten Ländern wie
Ägypten wichtiger, als Konsequenzen aus der verheerenden Menschenrechtslage zu
ziehen. In Syrien sieht man das perfide Ausmaß der westlichen Hilflosigkeit –
oder auch: kalkulierten Ignoranz – in aller Deutlichkeit. Seit sieben Jahren
kann Machthaber Assad vor den Augen und mit dem Wissen der Weltöffentlichkeit
sein eigenes Volk bombardieren, aushungern, foltern. Das kann er, weil der Westen den Zeitpunkt verpasst hat, einzugreifen, bevor er mithilfe seiner Unterstützer Iran und Russland seine Macht ausbauen konnte.

Die Europäer dürfen Trump nicht folgen

Trotz allem hat die internationale Gemeinschaft bisher immer noch versucht, an ethischen Grundprinzipien festzuhalten, wenigstens
auf symbolischer Ebene. Diese Zeiten könnten nun vorbei sein. MBS führt einen
zerstörerischen Krieg im Jemen, lässt den libanesischen Regierungschef
entführen, Oppositionelle inhaftieren und nun einen kritischen Journalisten
umbringen – und muss mit Trumps Beistand nicht mit Konsequenzen rechnen, jedenfalls nicht unmittelbar.

Im Land selbst wächst die Kritik am Kronprinzen. Das können die Europäer nutzen und müssen klarmachen: Sie werden Trump nicht folgen. Wenn Deutschland die
Rüstungsexporte stoppt
, ist das ein richtiger Schritt. Die Verantwortlichen zur
Rechenschaft zu ziehen oder auch nur eine unabhängige Untersuchung unter Aufsicht der Vereinten Nationen zu ermöglichen, mag schwierig sein. Aber die europäischen Staatschefs können und müssen langfristig ihren Umgang mit dem saudischen Königshaus neu
ausrichten. Über Wirtschaftssanktionen, Einreiseverbote, die Aufkündigung von Waffendeals, Untersuchungen der Kriegsverbrechen im Jemen-Krieg können sie den Druck auf das Königshaus erhöhen. Und damit vielleicht die Voraussetzungen für Veränderungen in Saudi-Arabien schaffen.

Nicht nur für die Menschen im
Mittleren Osten, die mit der Willkür dieser Despoten leben müssen, wäre das ein wichtiges Signal. Sondern für
alle, die nicht in einer Welt leben wollen, in der Normen überhaupt nichts mehr gelten.

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