/Bertelsmann-Studie: Mehr Kindergeld fließt nicht in Alkohol und Unterhaltung

Bertelsmann-Studie: Mehr Kindergeld fließt nicht in Alkohol und Unterhaltung

Das Bildungs- und Teilhabepaket galt einmal als eine tolle Idee. Kinder aus armen Familien sollten vom Staat Unterstützung für Schulmaterialien, für Ausflüge, Nachhilfe und für die Musikschule oder den Sportverein bekommen. Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte es 2011 eingeführt. Damit die Eltern nicht von dem Geld Bier kaufen oder einen Flachbildfernseher abstottern, wurde es direkt an die Bildungsausgaben gebunden. Heute gilt das Bildungspaket als Bürokratiemonster. Wie viel es genau kostet, weiß keiner. Aber Schätzungen gehen davon aus, dass von der Summe, die zur Verfügung steht, fast ein Drittel in die Verwaltung fließt. Hinzu kommt, dass zu wenige anspruchsberechtigte Familien es überhaupt beantragen.

Muss man arme Eltern verdächtigen?

Und vor allem ist da die große Frage, ob es überhaupt berechtigt ist, arme Eltern derart zu verdächtigen. Die Bertelsmann Stiftung kommt mit einer von ihr beauftragten Datenanalyse zu dem Schluss: Nein, der Staat solle den Eltern lieber grundsätzlich vertrauen. Der Studie liegen Daten von 1984 bis 2016 aus dem sozio-oekonomischen Panel (SOP) zugrunde, eine Langzeitbefragung, die sehr viele Parameter prüft, also nicht allein auf Sozialleistungen abzielt. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat Familien, die ein Landeserziehungsgeld erhielten, mit
ähnlichen Familien verglichen, die in anderen Bundesländern keines
bekamen. Außerdem konnten sie, wenn das Kindergeld etwa durch
Gesetzesänderungen gestiegen ist, vergleichen, wofür die Familien die
Erhöhung ausgegeben haben.

Das Ergebnis: Weder vom Landeserziehungsgeld noch vom Mehr an
Kindergeld kauften die Eltern mehr Alkohol oder Unterhaltungselektronik.
Vor 2006 gab es bei einer Erhöhung des Kindergelds einen leichten
Anstieg an Ausgaben für Zigaretten, doch nach 2008 gab es den Effekt
nicht mehr. Die Eltern gaben das Kindergeld häufig für mehr Wohnraum
aus, für die Hobbys der Kinder und ihre Betreuung.

Betreuung, Sport und Musik

Je 100 Euro Kindergeld steigt laut Bertelsmann-Analyse die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind eine Kita oder eine Ganztagsschule besucht, um fünf Prozentpunkte; nach dem Jahr 2000 sogar um zehn Prozentpunkte – wahrscheinlich weil es seither ein besseres Angebot an Kitas und Ganztagsschulen gibt. 

Um acht bis elf Prozentpunkte stiegen die Ausgaben für Sport- und Musikkurse. Die Empfängerinnen und Empfänger des Erziehungsgeldes kauften sich mehr Zeit für ihre Kinder. Sie reduzierten häufig ihre Arbeitszeit – ein erwünschter Effekt beim umstrittenen Erziehungsgeld.

Studien zu diesem Thema sind schwer durchzuführen. Versuchsanordnungen
könnten ethisch bedenklich sein. In gezielten Umfragen antworten die
Menschen oft so, wie es erwünscht ist – oder aber entsprechend ihrer
Vorurteile. In einer Befragung vom Diakonischen Werk in Braunschweig
sagten die Eltern etwa, sie würden erst ganz zuletzt bei den Ausgaben
für die Kinder sparen, wenn das Geld knapp wird. Sozialarbeiterinnen und Spzialarbeiter waren
hingegen eher der Meinung, dass dieselben Eltern zuletzt an Kaffee,
Alkohol und Zigaretten sparen würden. Holger Stichnoth und sein
Team vom ZEW haben
deshalb im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Daten des SOP
analysiert.

Exakt abbilden können auch diese Daten die Wirklichkeit wohl nicht. Aber sie deuten darauf hin, dass Eltern Hilfsleistungen eher für eine bessere Versorgung der ganzen Familie und ihrer Kinder ausgeben als für sich selbst. Sachleistungen haben deshalb nicht ausgedient: Gute Betreuung in Kitas und Ganztagsschulen und Beratungsangebote für arme Familien vor Ort sollten ausgebaut werden, dafür plädiert die Bertelsmann-Studie. Alle Hilfeleistungen sollten jedoch direkt an die Familien gezahlt werden, in Form eines Teilhabegeldes. Das heißt, Kindergeld, Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, Kinderzuschlag und Ähnliches sollten nicht mehr getrennt beantragt und ausgezahlt werden. Alle Familien bekommen es, nur: Je höher das Einkommen der Eltern, desto weniger Geld wird es.

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