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Tunis: Orient für Freunde

Marrakesch ist gentrifiziert, Tunis aber noch eine Entdeckung. Für den Bestsellerautor Daniel Speck ist es eine Stadt zwischen Europa und Afrika, die alle Kulturen umarmt.

20. November 2018, 14:08 UhrEditiert am 20. November 2018, 14:08 Uhr

Tunis: Die weiße Stadt am Meer

Tunis, die weiße Stadt am Meer
© Kevin Faingnaert

Der schönste Ort von Tunis steht in keinem Reiseführer. Kaum ein Tourist
findet den versteckten Eingang im Gassenlabyrinth der Medina. Vorbei an alten Möbeln und
muffigen Teppichstapeln steige ich über verwinkelte Treppen nach oben … und stehe plötzlich
im letzten Abendlicht über den Dächern der Altstadt. Andalusische Fliesen, arabische
Cafétische, junge Tunesierinnen und Tunesier plaudern beim Minztee. Die Große Moschee aus dem
7. Jahrhundert ist zum Greifen nah. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen; gleich beginnt
das Konzert. Der Muezzin ruft zum Abendgebet, und von all den anderen Minaretten, die aus dem
Häusergeflecht ragen, erklingt der gleiche Gesang, aber zeitversetzt; jeder Sänger scheint
eine andere Uhr zu tragen. Ein feierlicher Ton schwebt über dem Häusermeer, während die Hitze
des Tages nachlässt. Die blaue Stunde von Tunis. Nicht mehr Tag und noch nicht Nacht. Ich
schließe die Augen und lausche. Doch dann schleicht sich eine Dissonanz in den Zauber.
Allahu Akbar!
Der Gebetsruf, unter Arabern eine so alltägliche Redewendung wie
“Grüß Gott!” für die Bayern, löst in mir eine Assoziationskette aus, die mit Cat Stevens
beginnt und beim “Islamischen Staat” noch nicht haltmacht. Ich öffne verstört die Augen, und
der freundliche Kellner reicht mir einen Minztee. Ich ärgere mich über meine Gedanken. Wer hat
die Magie der arabischen Welt entführt? Wie konnte eine Minderheit die Köpfe der Mehrheit
besetzen?

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