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Schach-WM: Ein “Ooh!” weht durch den Saal

Nach der siebten WM-Partie am Sonntag, die unentschieden endet wie alle Partien zuvor, ist es Konsens unter den im College zu Holborn versammelten Mattreportern, dass es nun mit den Remisen mal gut sei. Eine Entscheidung am Montag wird herbeiprognostiziert.

Die Einschätzung erwächst zum einen aus der Spannung, die von Runde zu Runde steigt – einer der beiden Spieler wird dieses Match ja definitiv gewinnen, spätestens nach der zwölften Partie oder im anschließenden Stechen. Zum anderen zeigt ein Blick in die Schachgeschichte, dass noch jede Remisserie irgendwann zu Ende ging.

Bei der WM 2016 in New York gab es sieben Unentschieden, bis Magnus Carlsen in der achten Runde gegen seinen Herausforderer Sergej Karjakin verlor. Bei der WM 2012, die mit sechs Remisen begonnen hatte, siegte der Herausforderer Boris Gelfand gegen den Weltmeister Viswanathan Anand in der siebten Partie.

Sieben, acht, da sind wir jetzt. Vielleicht ist es einfach so, dass
sich mit jedem Remis mehr Energie sammelt, deren schiere Menge
irgendwann, nach der sechsten oder siebten Runde, zur Entladung drängt.
Die Londoner Reporter sind der Meinung: Die Entladung steht unmittelbar
bevor!

Das Szenario lautet: Caruana, der sich nach der wackeligen, nahezu verlorenen ersten Partie
zusehends sicher und unerschütterlich zeigt, wird in einer von ihm im
Turnier bisher nicht gespielten Variante eine eröffnungstheoretische
Neuerung bringen, welche Carlsen überrascht und ins Schleudern bringt.
Und dann muss Caruana nur noch gewinnen.

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Anfangs sieht es so aus, als sollten sie recht behalten. Caruana mit Weiß zieht den Königsbauern im ersten Zug zwei Felder vor, Carlsen erwidert mit dem Damenläuferbauern, auch zwei Felder vor, Sizilianisch. Das hatten sie nun schon dreimal. Im dritten Zug weicht Caruana ab: Er wählt kein Rossolimo mehr, sondern offenes Sizilianisch. Ein “Ooh!” weht durch den voll besetzten Zuschauersaal.

Binnen weniger Züge entsteht die legendäre Sweschnikow-Variante, eine nach dem russisch-lettischen Großmeister Jewgeni Ellinowitsch Sweschnikow benannte Zugfolge, die von ihm in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts zu einer verlässlichen Waffe geschmiedet wurde. Gespielt worden war sie schon weit vorher, zum Beispiel 1910, als der deutsche Weltmeister Emanuel Lasker in Wien und Berlin gegen den  Österreicher Carl Schlechter antrat. Weil die Eröffnung das Feld d5 im Zentrum schwächt und auch noch einen rückständigen Bauern auf dem Feld d6 hervorbringt, galt sie für Schwarz damals als riskant oder gar unseriös.

Den Gegner aus der Komfortzone holen

Sweschnikow gelang es, neue Ideen zu finden und strategische Mängel taktisch zu kompensieren – denn was nützt dem Gegner die schönste Felderschwäche, wenn er gar nicht dazu kommt, sich ihrer anzunehmen, weil er ständig beschäftigt wird? Das “Konkrete” – wie die Schachspieler sagen – brachte jede Menge Varianten hervor, die man kennen sollte. Wer diese Eröffnung spielen will, muss sich auf sein Gedächtnis verlassen können, sonst geht schnell mal was schief.

Stellung nach dem siebten Zug von Weiß: Sd5
© Chess24.com

Caruana will Carlsens Erinnerungsvermögen nicht im Hauptsystem testen. Er wählt 7. Sd5 (“im siebten Zug den Springer nach d5”) und besetzt das schwache Zentrumsfeld. Schwarz muss den Springer schlagen, will er großen Nachteil vermeiden; Weiß nimmt zurück, und schon steht ein weißer Bauer auf dem Vorposten, um den sich das schwarze Spiel nun herumentwickeln muss.

Bei jeder Partieeröffnung geht es darum, den Gegner aus der Komfortzone zu holen. Die seltenere Variante mag nicht so stark sein wie die Hauptvariante, dafür kennt sich der andere darin vielleicht nicht so gut aus.

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