/Medikamente: “Pharmafirmen sollten wetteifern, wer mehr Gutes tut”

Medikamente: “Pharmafirmen sollten wetteifern, wer mehr Gutes tut”

Es gibt Krankheiten, die statistisch gesehen so selten sind, dass es sich für Pharmafirmen kaum rentiert, Medikamente dagegen zu erforschen. Und es gibt Staaten, in denen Millionen arme Menschen an Seuchen wie Malaria oder Aids erkrankt sind, von denen die wenigsten eine Versicherung für Therapien oder Geld für teure Arzneimittel haben. Wie fair, wie sozial und wie effizient ist die globale Versorgung mit Medikamenten? Eine Stiftung – die Access to Medicine Foundation – geht diesen Fragen nach. Alle zwei Jahre gibt sie ein Ranking heraus, in dem sie Pharmafirmen nach ihrem sozialen Beitrag zur Weltgesundheit bewertet. Heute erscheint der neueste Access-to-Medicine-Index. Was er bewirken soll, hat uns die Geschäftsführerin der Stiftung erklärt.

ZEIT ONLINE: Zwei der gut sieben Milliarden Menschen auf der Welt
haben keinen Zugang zu Medikamenten, die sie dringend bräuchten. Eine
schockierende Zahl, die Ihre Stiftung jetzt nennt. Was genau sagt sie aus?

Jayasree Iyer: Es
geht hierbei um grundlegende Arzneien, wie die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) sie definiert: Impfungen für Kinder,
Antibiotika oder Mittel gegen Bluthochdruck – nicht etwa um die vielen Tausend anderen Medikamente, die in Europa auf dem Markt
sind.

ZEIT ONLINE: Was läuft schief, dass schon die Versorgung mit dem Allernötigsten vielerorts nicht funktioniert?

Jayasree K. Iyer ist die Geschäftsführerin der Access to Medicine Foundation, die von der Gates-Stiftung, der britischen Entwicklungshilfebehörde UK Aid und dem holländischen Außenministerium gefördert wird.
© Patricia Wolf

Iyer: Vieles. Erstens sind gegen manche Krankheiten gar keine oder zu wenige Produkte auf dem Markt. Damit sie überhaupt entwickelt werden, müssten Pharmafirmen mehr innovative Forschungen betreiben. Zweitens sind die
Preise notwendiger Arzneien oft einfach zu hoch. In
vielen Teilen der Welt können die Menschen sich etwa den Großteil der Krebsmittel
nicht leisten. Drittens mangelt es an Akzeptanz, was beispielsweise Impfungen angeht oder HIV-Medikamente, weil mit der Infektion mit dem Aids verursachenden Virus oft ein
großes Stigma einhergeht. 

ZEIT ONLINE: Und was ist mit der Qualität der Mittel und mit Arzneimittelfälschungen?

Iyer: Auch hier gibt es Probleme. In dem umkämpften Markt wächst die Zahl an Herstellern, die
sich in der Produktion nicht an Standards halten. Bleibt die Schwierigkeit, die Medikamente dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden: in entlegene ländliche Regionen, in Kriegsgebiete oder zerstörte Städte und Dörfer nach einer Naturkatastrophe. Hierbei können Pharmaunternehmen kaum helfen.

ZEIT ONLINE: Bei der Preisgestaltung und in der Forschung aber schon.

Iyer: Ja, ganz
genau. Wir wollen die Unternehmen deshalb auch dazu bewegen, soziale Verantwortung zu
übernehmen. Wenn Firmen das tun, verbessert sich in ärmeren Ländern automatisch der Zugang der
Menschen zu Arzneien.

ZEIT ONLINE: Um den Druck zu erhöhen gibt Ihre Stiftung alle zwei Jahre einen Bericht heraus, in dem sie die
weltweit größten Pharmaunternehmen danach bewerten
, wie sie sich dieser Herausforderung stellen. Wie genau geht die Access to Medicine Foundation dabei vor?

Iyer: Wir fragen verschiedene
Akteure wie Forscherinnen, Aktivisten, Vertreter von Patientenorganisationen, der Weltgesundheitsorganisation und Regierungen, was wichtig ist, um Menschen Zugang zu Arzneimitteln zu verschaffen.
Daraus bilden wir Indikatoren. Die richten sich zum Beispiel danach, wie Unternehmen
ihre Medikamente auch in Ländern bezahlbar machen, die weniger Geld haben; wie
sie mit Patentfragen umgehen; ob sie an Arzneien forschen, die Menschen zugutekommen, die in armen Ländern leben; oder ob sie im Falle humanitärer Katastrophen
Medikamente spenden.

ZEIT ONLINE: Der neueste Index zeigt: Manche Unternehmen bemühen sich bereits stark, andere überhaupt nicht. Was ist Ihr Fazit?

Iyer: Es ist noch viel zu tun. Noch immer fließt ein Großteil der Forschungsgelder
der Unternehmen in die Entwicklung von neuen oder veränderten Mitteln für Europa und die USA – und nicht in die Erforschung von solchen, die weltweit viel nötiger wären: etwa gegen Wurmerkrankungen, Tuberkulose oder virale Erkrankungen wie Lassa (siehe Grafik). Aufgrund von Korruption und einer ungenügenden Preispolitik ist auch das Vertrauen in die Pharmaindustrie weiterhin schlecht. Gleichzeitig muss man der Branche attestieren, dass sie sich wirklich verändert hat.

ZEIT ONLINE: Sie
schauen der Pharmaindustrie also auf die Finger. Was soll sich dadurch ändern?

Iyer: Die
pharmazeutische Industrie ist von Natur aus kompetitiv. Jeder will
der Beste oder Erste am Markt sein. Unsere Idee ist, diesen Wettbewerbsgedanken zu nutzen. Unternehmen orientieren sich an unserem Ranking, um sich zu
vergleichen. Wir wünschen uns, dass es ein Rennen gibt, darum, wer mehr Gutes
tut. Darum sollten Pharmafirmen wetteifern.

ZEIT ONLINE: Was
machen Sie abseits davon?

Iyer: Wir
veröffentlichen Berichte über diejenigen, die es besonders gut machen, damit sich andere daran orientieren. Unternehmen sollten schon während der Entwicklung
eines neuen Medikaments überlegen, wie es, wenn es Jahre später zugelassen und verkauft wird, möglichst viele Leute erreicht. Außerdem wird unser Index von
Regierungen und internationalen Organisationen genutzt – mitunter, um Druck auf
Pharmaunternehmen auszuüben.

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