/Lehrer: “Sie nahm das Blatt und riss es vor meinen Augen in Schnipsel”

Lehrer: “Sie nahm das Blatt und riss es vor meinen Augen in Schnipsel”

Das Gespräch mit den Eltern gehört zum Berufsalltag junger Lehrer. Nur: Im Studium werden sie nicht darauf vorbereitet. Drei Lehrerinnen erzählen von ihren Erfahrungen.

Eltern und Lehrerinnen sollen regelmäßig miteinander sprechen, so schreiben es die Schulgesetze in Deutschland vor. Deshalb laden die meisten Schulen zweimal pro Schuljahr zu einem Elternsprechtag ein. Das Problem ist: Im Lehramtsstudium sind diese Gespräche kein Thema. Junge Lehrer lernen zwar, wie sie mit ihren Schülern umgehen
sollen, aber nicht, wie sie reagieren können, wenn Mütter ihre Kompetenz
infrage stellen oder Väter ihren Erzählungen nicht glauben.

Was erleben junge Lehrerinnen und Lehrer im Gespräch mit den Eltern? Mit welchen Herausforderungen müssen sie zurechtkommen? Wir haben mit drei von ihnen gesprochen.

“Ich fühlte mich machtlos”

Ich hatte mal einen Schüler, der
regelmäßig aufsprang und aus meinem Unterricht lief. In meinem Studium
müssen wir ein halbes Jahr lang den Unterricht an einer Schule
beobachten und eigenständig unterrichten. An der Uni wurden wir zwar auf
das Praxissemester vorbereitet, aber über solche Situationen haben wir
nie gesprochen.

Ich bin für meine Schüler verantwortlich; wenn
ihnen etwas passiert, ist es meine Schuld. Deshalb lief ich dem Schüler
jedes Mal hinterher. Weil er viel schneller war als ich, musste ich ihn
regelmäßig auf dem Schulhof suchen. Das kostete mich viel Zeit.

Beim
Elterngespräch erklärte ich den Eltern das Problem. Der Vater verzog
das Gesicht und sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass sein Sohn
einfach wegläuft, zu Hause sei er ein braver Junge. Ich schilderte die
Situation noch mal in allen Details, aber er ging überhaupt nicht auf
mich ein. Er behauptete weiterhin, sein Sohn würde nicht weglaufen. Die
Mutter sagte überhaupt nichts. 

“Bis heute weiß ich nicht, wie ich mit so einer Situation umgehen soll.”

Ich fühlte mich machtlos. In
meinem Bauch mischten sich Wut und Frustration, ich wusste nicht, was
ich tun sollte. Ich musste dem Vater erklären, dass sich sein Sohn in
der Schule ganz anders verhält, als er es von zu Hause gewohnt ist. Aber
wie sollte ich das beweisen? Wie sollte ich beweisen, dass der Schüler
den Unterricht mit seinem Verhalten massiv stört? Ich suchte nach
Worten, aber fand keine. Der Vater sagte etwas, was ich nicht
verstand, dann verließ er den Raum. Ich weiß noch, dass ich mich fragte,
ob er einen männlichen Lehrer mehr ernst genommen hätte.

Ich
wünschte, ich hätte im Studium Kommunikationsstrategien gelernt, die
mich auf so eine Situation vorbereitet hätten. Später schilderte ich
meine Erlebnisse in einem Seminar. Doch die Dozentin winkte ab. “Sagen
Sie dem Vater in so einer Situation einfach, er soll mit dem Schulleiter
sprechen”, sagte sie. Das frustrierte mich noch mehr. Ich kann die
Eltern doch nicht bei jedem Problem zum Schulleiter schicken! Bis heute
weiß ich nicht, wie ich mit so einer Situation umgehen soll.

Gymnasiallehrerin, 24, Berlin

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