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Kartografie: Die Vermessung der antiken Welt

Die Österreichische Nationalbibliothek feiert in diesem Jahr ihr 650-jähriges Bestehen. Jeden Monat stellen wir in dieser Serie ein Objekt aus ihrer Sammlung vor.

Nördlich der Donau ist die Welt bald zu Ende. Mitteleuropa besteht aus
nicht mehr als einem schmalen Band, das Mittelmeer ebenso, Nordafrika nimmt gerade noch einen
dünnen Strich ein: Die in der Antike bekannte Welt wirkt eigenartig verzerrt, wenn man mit dem
an moderne Landkarten gewohnten Blick an die Tabula Peutingeriana herantritt. Zahlreiche
Dörfer und Städte Europas verdanken ihr die erste schriftliche Erwähnung – doch bei noch mehr
Toponymen, die auf der Straßenkarte erwähnt werden, arbeiten Wissenschaftler noch immer daran,
ihre Lage ausfindig zu machen.

Die mittelalterliche Kopie der einzigen illustrierten Weltkarte, die aus der Antike überliefert ist, erstreckt sich über eine Länge von 6,7 Meter und ist lediglich 34 Zentimeter hoch. Der Weg von Vindobona, also Wien, bis nach Claudium Virunum in der Nähe des heutigen Klagenfurts wirkt darauf wie ein Katzensprung, während die Strecke ins keltische Ivavo, das heute Salzburg heißt, mindestens zehnmal so lang zu sein scheint. Wie soll man sich da zurechtfinden?

Codex Vindobonensis 324 lautet der Name der ungewöhnlichen Weltkarte in der Österreichischen Nationalbibliothek, in deren Besitz sie seit 1738 ist. Dort ist nun, im Rahmen der Jubiläumsausstellung, auch eines der elf Teilstücke der einstigen Pergamentrolle im Original zu sehen: eine Seltenheit, denn die kostbare Handschrift, die seit 2007 zum Unesco-Weltdokumentenerbe gehört, hat im Laufe der Jahrhunderte starke Schäden davongetragen.

Das mag damit zusammenhängen, dass die Tabula Peutingeriana nicht nur einmal spurlos verschwunden und auf nebulose Art wieder aufgetaucht ist. Entstanden sein muss sie rund um das Jahr 1200 als Kopie einer antiken Karte. Doch eine erste Spur der Tabula gibt es erst 300 Jahre später. Der deutsche Humanist Conrad Celtis hatte sie entdeckt, nach eigener Aussage “irgendwo in einer Bibliothek”. Celtis übergab sie im Jahr 1507 seinem Freund Konrad Peutinger, nach dem sie benannt wurde. Nach Peutingers Tod galt sie plötzlich wieder als verschollen. Erst 1714 wurde sie erneut aufgefunden und gelangte in die Sammlung des Prinzen Eugen von Savoyen, die nach dessen Tod von Kaiser Karl VI. aufgekauft und in die Wiener Hofbibliothek eingegliedert wurde.

Spannender ist für die Wissenschaft aber das Rätsel hinter ihrer Entstehungsgeschichte. Welche antike Weltkarte war das Vorbild, wer hat die Kopie schließlich angefertigt? Welche Informationen – sprich, welches geografische Wissen und welches Weltbild – entsprechen tatsächlich jenen der hellenistischen Epoche, welche der römischen Kaiserzeit, und was wurde von den Kopisten ergänzt oder verändert?

Über den Entstehungsort der Tabula gibt es nur Spekulationen, ebenso wie über ihre Vorlage. Eine vergleichbare kartografische Darstellung ist aus der Antike schlicht nicht bekannt. Dennoch muss es eine Ur-Tabula gegeben haben, die vermutlich zwischen 200 vor und 330 nach Christus entstanden ist und über die Jahrhunderte schrittweise modifiziert wurde.

Im Zentrum der Oikumene, der einst als bewohnt geltenden Welt zwischen Iberien und Indien, liegt auf der Tabula Peutingeriana Rom, dargestellt durch eine Vignette mit der Stadtgöttin in der Mitte. Neben dem Zentrum des römischen Imperiums und den Metropolen Konstantinopel und Antiochia werden rund 3.600 Ortsangaben vermerkt, Städte ebenso wie Rast- und Pilgerstätten, Bauwerke oder 38 Bäder und Kurorte. Auch Meere, Flüsse, Waldgebiete und Gebirge sind durch ikonografische Symbole eingezeichnet. Das wichtigste Element bilden aber die insgesamt 200.000 Kilometer langen, in roter Farbe gehaltenen Straßenverbindungen. Von Etappe zu Etappe ist die Entfernung angegeben, angepasst an die jeweils in der Gegend üblichen Maßeinheiten wie die römische Meile, die persische Parasange oder das rund um den Lakonischen Golf verwendete Stadion.

Was heute hingegen fehlt, ist der erste Abschnitt der Karte: Statt aus elf muss die Tabula einst aus zwölf Teilen bestanden haben. Der fehlende Bogen auf der linken Seite zeigte vermutlich den Atlantik, Teile der Iberischen Halbinsel, Westafrika und enthielt vielleicht auch einleitende Informationen.

Seit gut 300 Jahren gibt die Tabula Peutingeriana den Forschern Rätsel auf – was aber weniger daran liegt, dass ihre Zeichner einst ein unpraktisches Ungetüm geschaffen hätten. Eigentlich lässt sie sich sogar recht einfach lesen – sofern man sie nicht wie eine moderne Landkarte betrachtet. Eher funktioniert sie so wie jene Liniennetzpläne, die heute bei U-Bahnen üblich sind: Man sieht ein Routenschema, auf dem die für den Reisenden relevanten Stationen dargestellt sind.

Eines der elf Teilstücke der Tabula Peutingeriana ist bis zum 29. November in der Nationalbibliothek zu sehen. Am 20. November findet ein Vortrag dazu statt.

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