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Bundeswehrveteranen: Blaumann statt Flecktarn

Gerade haben sich das Verteidigungsministerium, der
Bundeswehrverband und der Reservistenverband darauf geeinigt, wer
sich in Deutschland Veteran nennen darf. Insgesamt sind es etwa zehn
Millionen Menschen, die sich diesen Ehrentitel jetzt anheften können. Denn die Definition ist sehr weitreichend
ausgefallen. Demnach ist ein Soldat ein Veteran, solange er nicht
unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen wurde. Gemeint ist also auch
jeder, der Wehrdienst geleistet hat. Der Begriff ist damit maximal weit
entfernt von einem Kriegsveteran, unter dem man sich gemeinhin jemanden
vorstellt, der im Auslandseinsatz war. Der schlimme Dinge gesehen
haben mag, vielleicht sogar verletzt wurde.

Nicht aus der Bundeswehr geflogen zu sein, das ist eine überschaubare
Voraussetzung für solch ein Prädikat, finde ich. Meinen Zivildienst habe ich bis zum
Schluss geleistet, ich war auch nicht oft krank. Habe ich auch das
Zeug zum Veteran?

Die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte der Bild am
Sonntag
, Veteranen hätten gemein, “dass sie sich in der Uniform
der Bundeswehr für Frieden und Freiheit unseres Landes eingesetzt
haben”. Ich habe mich während meines Zivildienstes auch für
unser Land eingesetzt. Nicht direkt für die Freiheit, aber doch für
sein Wohlergehen. Dass ich dabei nicht Flecktarn, sondern Blaumann
trug, sollte man nicht überbewerten. Ich habe kein Schießpulver
eingeatmet und keine Gasmaske getragen. Dafür bin ich beinahe unter
meiner Atemschutzmaske erstickt, als ich tonnenweise alte
Röntgenbilder aus einem Kellerraum zerrte, um sie zu entsorgen. Die
Menschen, deren Thoraxe und Kniegelenke darauf zu sehen waren, lebten
nicht mehr. Die Staubschicht auf den Akten war dementsprechend
voluminös.

Ich arbeitete im Facility Management eines Berliner Krankenhauses,
zehn Monate lang trat ich morgens um 6.30 Uhr in Arbeitsschutzschuhen
zum Dienst an. Unser Hauptquartier war ein Pausenraum im Keller eines
denkmalgeschützten Backsteingebäudes, es roch nach Reinigungsmittel
und Kaffeemaschine auf Dauerbetrieb. Spätestens in der Mittagspause
mischte sich eine Brise Whiskey-Cola darunter, was die nüchternen
Kollegen mit dem immer gleichen Spruch kommentierten: “Ich glaub’, eure Cola ist schlecht. Nicht, dass ihr euch den Magen verderbt.”

Während meiner Dienstzeit zog die Krankenhausverwaltung um und ich
musste stählerne Aktenschränke schleppen. Die Dinger wären selbst
leer sauschwer gewesen, sie waren aber nicht leer. Lieber hätte ich
ein paar Liegestütze gemacht. Ich habe Unkraut aus den
Zwischenräumen von Steinplatten gerupft, auf einem Vordach, das seit
Jahren niemand betreten hatte. Mit Hacke und Eimer bewaffnet schickte
man mich in den kniehohen Dschungel, ohne Rückendeckung durch einen
Kameraden. Als Zivi war ich das, was beim Bund Schulterglatze heißt.
Ich hatte keinen Rang, also hatte ich mich nicht zu beschweren.

Die starre Hierarchie im Krankenhaus war dem im Militär nicht
unähnlich. Die Ranghöheren, man erkannte sie an den weißen
Kitteln, nahmen mich nicht wahr. Gegrüßt wurde ich nur von meinesgleichen, andere Blaumänner nickten, die Gärtner in ihren
grünen Hosen brummten “Mahlzeit” und die Küchengehilfen in
ihren fleckigen Schürzen wünschten schon vormittags einen schönen
Feierabend. Einer von ihnen – sehnige Arme, Knasttattoo – stellte
sich mir in den Weg, selbst wenn ich schwer zu tragen hatte. Er
musste einen seiner dreckigen Witze loswerden, die der Rest der
Belegschaft schon auswendig kannte. Sie waren allesamt so weit unter
der Gürtellinie, dass der Äquator näher schien. Kaum hatte er die
Pointe ausgespuckt, lachte er keuchend, die Selbstgedrehte hielt er
zwischen gebleckten Schneidezähnen fest.

Schweigen über den Tod

Am Morgen sammelten wir den Stationsmüll ein. Natürlich trugen wir
Handschuhe. Trotzdem hofften wir, dass alle Kanülen in den dafür
vorgesehenen Plastikbehältern entsorgt worden waren. Ein ehemaliger
Kollege soll sich mit HIV infiziert habe, als eine achtlos
weggeworfene Spritze durch den Müllsack stach. Ich hielt es für ein
Gerücht, war aber trotzdem froh, wenn ich die Handschuhe
wieder abstreifen konnte. Mit der Zeit wuchs auch mein Respekt vor
den Krankenzimmern, die mit dem Hinweis auf besonders ansteckende
Erreger abgesperrt worden waren. Damals fing ich an, mir bei jeder
Gelegenheit die Hände zu desinfizieren. Der Gang zum Spender wurde
zum Ritual, das Sterillium zu einer Art Weihwasser, es sollte mich vor
den Gefahren des Krankenhauses beschützen. Ich erinnere mich bis
heute an den stechenden Geruch meiner Fingerknöchel, wenn ich ins
Frühstücksbrot biss.

Dreimal die Woche kam ein Lkw mit dem Nachschub an Medikamenten. Sie
wurden in abgeschlossenen Metallkisten angeliefert, die wir auf die
Stationen verteilten. Als ich dem Fahrer das erste Mal beim Entladen
an der Rampe half, rief mein Chef: “Guck ab und zu nach oben, da
springt schon mal jemand vom Dach.” Im obersten Geschoss befand
sich die Onkologie, dort lagen die Krebspatienten. Damals nahm ich
ihm den Spruch übel, später verstand ich, dass es seine Art war,
sich der Vergänglichkeit zu stellen. Um vornehm über den Tod zu
schweigen, begegnete er ihm einfach zu oft. Im Untergeschoss zum
Beispiel, wo sich die Gerichtsmedizin befand. Dorthin schob der
Krankentransport die Betten, die bis zum metallenen Bügel am
Kopfende mit einem Laken bedeckt waren. Nicht immer waren die Laken
blütenweiß und man fragte sich im Vorbeigehen, welche Gestalt der Tod
wohl gehabt haben mag. Eigentlich wollte man es aber gar nicht
wissen.

Veteranus heißt so viel wie langjährig. Ich war nicht mal zehn Monate dort. Die fest angestellten Kollegen blieben teilweise Jahrzehnte. Sie haben den Ehrentitel verdient, dafür, dass sie
durchgehalten haben. Anerkennung gebührt
ihnen auch dafür, dass sie mir das Leben nicht zur Hölle gemacht
haben. Obwohl sie wussten, dass ich bald auf die Universität
wechseln würde, wo vor 10 Uhr nicht wirklich was passierte. Obwohl
sie wussten, dass die Stahlschränke nicht leichter werden würden
und die Krankheiten nicht weniger ansteckend. Sie traten wieder an,
sommers wie winters, jeden Morgen um 6.30 Uhr.

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