/Unbequeme Erinnerung: Hamburgs belastete Denkmale

Unbequeme Erinnerung: Hamburgs belastete Denkmale

Sigrid Neudecker

Sigrid Neudecker
© Gretje Treiber

Guten Morgen,

in unserer
Nachbarschaft hat diesmal das Haus schräg gegenüber das Rennen gemacht. Dort
hing bereits vor einer Woche die erste Weihnachtsbeleuchtung. Worauf es für
alle anderen, die bis dahin sicherheitshalber auf ihren Händen gesessen hatten,
um dem Dekorationsdrang zu widerstehen, auch kein Halten mehr gab. Wie in einem
kitschigen Weihnachtswerbespot knipst hier gerade einer nach dem anderen seine
Lichtergirlanden an.

Seit einer Woche
mache ich also einen großen Bogen um das Regal mit dem Weihnachtsschmuck. Wenn
ich abends im Dunkeln nach Hause gehe, hefte ich den Blick strikt gen Boden – natürlich
auch, weil unsere Straße so miserabel beleuchtet ist, aber vor allem, um nicht
noch mehr in Versuchung geführt zu werden. Sobald ich zu Hause bin, blickt mich
das undekorierte Fenster finster an, in jeder Hinsicht. Ich gehe momentan immer
sehr früh schlafen.

Denn eigentlich darf
man ja erst nach Totensonntag. Nicht, dass sich so viele darum scheren würden.
Aber mein ganz persönliches Kontrollorgan, meine Freundin M., wohnt just im
gegenüberliegenden Haus.

Noch eine Woche
durchhalten. Außer, sie gestattet mir eine Ausnahme. Ich argumentiere einfach
mit einer besseren Straßenbeleuchtung.

Wir sind Tennis-Weltmeister!

Er hat’s geschafft! Der Hamburger Alexander Zverev hat gestern Abend
kurzen Prozess mit dem Serben Novak
Djokovic
gemacht und damit als jüngster Tennisprofi die ATP World Tour Finals in London gewonnen.
Nach 80 Minuten hatte er Djokovic mit 6:4
und 6:3 geschlagen und kassierte dafür nicht nur 2,5 Millionen US-Dollar,
sondern auch Lob vom dreimaligen Sieger Boris
Becker:
“Ein neuer Star ist
geboren.” Zverev, dank des Sieges nun auf Platz vier der Weltrangliste,
wurde sogar von seinem Finalgegner Djokovic gewürdigt, der ihm mit den Worten
gratulierte: “Du
hast den Sieg ganz klar verdient.” Nach dem Matchball ging Zverev erst zu Boden
und dann zu seinem Vater Alexander
Senior
sowie zu seinem Coach Ivan
Lendl.
Der Sieg sei “natürlich der größte
Erfolg in meiner Karriere. Ich kann es noch gar nicht fassen”, sagte er danach.

Ein Meisterfälscher kommt nach Hamburg

Jahrelang hat er alle an
der Nase herumgeführt: Sammler, Experten und die Kunstwelt. Wolfgang
Beltracchi
verkaufte Bilder großer Meister, die er in Wirklichkeit selbst
gemalt hatte. Vor sieben Jahren flog er auf und musste ins Gefängnis.
Inzwischen ist er wieder frei und malt erneut Bilder im Stil anderer Künstler. Dieses Mal aber legal. Zu sehen in der Ausstellung
“Kairos. Der richtige Moment”, die
morgen auch nach Hamburg kommt. Gemeinsam mit Beltracchi wollen der Kunstsammler
Christian Zott und der Fotograf Mauro Fiorese zeigen, was man nicht sehen kann: Bilder, die verborgen
im Archiv stehen statt öffentlich im Museum. Oder Momente, die niemand festgehalten
hat, weil man erst im Nachhinein wissen konnte, dass sie wichtig werden. William Turner hätte ja malen können, wie sein Zeitgenosse, der
Naturforscher Charles Darwin, zu der
Seereise aufbricht, die ihn zu seiner Evolutionstheorie führte. Derlei hat Beltracchi
nun für ihn und einige andere Maler nachgeholt. Er sei dafür der Richtige, sagt
Kristina Behrend,
Kommunikationschefin von Zott Artspace, schließlich
“hat er schon
bewiesen, dass er viele Handschriften kann”.
Nachmachen können ist eben auch eine Kunst. Die
Kollegen des ZEIT-Wirtschaftsressorts haben übrigens im Mai ein sehr
lesenswertes Interview mit Beltracchi geführt.
Die Ausstellung ist noch bis
zum 19. Dezember geöffnet.

Gutes Geld für gute Ideen

Hätten Sie gern 75.000 Euro? Geschenkt? Läuft. Sie brauchen nur
eine innovative Idee, idealerweise aus dem Bereich der digitalen Medien, und
schon überreicht Ihnen Bürgermeister Peter
Tschentscher
Kohle aus einem neuen Fördertopf
namens “InnoFounder”.
Na gut, ganz so einfach ist es nicht. “Die Projekte
sollen gute Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg haben”, sagt Heiko Milde, Geschäftsführer von
Innovationsstarter, einer Tochter der Hamburgischen Investitions- und
Förderbank. “Außerdem sollen sie bedarfsgerecht
sein
und ein gewisses Qualitätsniveau haben.” Diese Kriterien haben die
ersten drei Förderungsempfänger erfüllt: MateCrate will Partner für E-Sports
vermitteln, die Cronbach GmbH möchte Internetwerbung noch zielgenauer
platzieren, und Vimato verkuppelt ganz normale Menschen mit den Firmen, deren
Produkte sie auf ihren Instagram-Fotos zufällig in der Hand halten.
“Beispielsweise, wenn ich mit einer
Flasche Coca-Cola vor dem Eiffelturm
stehe”, erklärt Milde. Das Geld gibt
es nicht ganz ohne Hintergedanken. “Hamburg ist überzeugt, dass Start-ups
wichtig sind für den Standort”, sagt Milde. “Wir haben ja keine Bodenschätze.” Deshalb
müssen die Firmen dann auch mindestens sechs Jahre in der Stadt bleiben. Dass die
Ersten, die gefördert werden, durchweg männlichen Geschlechts sind, liege an
der Männerdominanz bei allem, was mit innovativen Technologien zu tun habe.
“Vielleicht ist aber auch die Risikobereitschaft
bei Männern größer”,
sagt Milde. “Wir freuen uns jedenfalls über jedes
Frauenteam und über jede Gründerin.” Die Chancen stehen für alle gut. 20 Firmen
sollen jährlich mit insgesamt “gut zwei Millionen Euro” gefördert werden.

Denkmale: “Hinterfragen, ohne zu zerstören”

Nach knapp drei Monaten endet heute die Ausstellung “Visuelle Skepsis im öffentlichen Raum – Der Umgang mit
›belasteten‹ Denkmalen” mit einer Podiumsdiskussion im
Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek. Wir haben mit der
Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin Margit Kern gesprochen.

Elbvertiefung: Frau Kern, was sind “belastete” Denkmale?

Margit Kern: Der Begriff geht
auf den Kunsthistoriker Norbert Huse zurück, der von unbequemen Denkmalen
gesprochen hat. Das sind solche, deren Werte und Weltbilder wir heute nicht
mehr teilen. Die erste Reaktion wäre, sie abzuräumen. Aber die Frage sollte
eigentlich lauten: Wie hält man diese Denkmale im Bewusstsein? Dabei ist es
entscheidend, die Aussagen von belasteten Denkmalen aktiv zu hinterfragen, aber
eben ohne sie zu zerstören.

EV: Und wie sollte man das tun?

Kern: Dafür gibt es
keine Pauschalantworten, sondern für jeden Standort muss eine individuelle
Lösung gefunden werden. Ein Beispiel aus Hamburg ist das Kriegsdenkmal am Dammtor-Bahnhof. Das ist
schon eine spezifische Ästhetik, da reicht es nicht, eine Infotafel zu
installieren, die darauf hinweist, dass es aus der Zeit des Nationalsozialismus
stammt. Deshalb wurde mit Gegendenkmalen nicht nur eine Erklärung des
historischen Kontexts geschaffen, sondern eine ästhetische Erwiderung gefunden.

EV: Welche Konzepte gibt es über Gegendenkmale hinaus?

Kern: In Südtirol
beispielsweise wurde für ein Mussolini-Relief, das Gehorsam fordert, eine gute
Lösung gefunden. Darüber wurde das Hannah-Arendt-Zitat “Kein Mensch hat das
Recht zu gehorchen” angebracht. Nachts überblendet eine Lichtinstallation das
Relief mit dem Zitat in drei Sprachen. Es mahnt, das Ideal zu hinterfragen. Das
ist wichtiger, als es einfach zu verdrängen.

EV: Wo hat Hamburg in dieser Hinsicht noch Handlungsbedarf?

Kern: Beispiele sind
der Umgang mit dem Askari-Relief im sogenannten Tansania-Park in Jenfeld oder
mit dem Wissmann-Denkmal, die an Hamburgs beziehungsweise Deutschlands
koloniale Vergangenheit erinnern. Die Diskussionen darüber haben diese Themen
wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Manchen mögen diese
Auseinandersetzungen lästig sein, aber sie sind wichtig, um sich darüber klar
zu werden: Wie wollen wir umgehen mit dieser Vergangenheit? Am Ende ist dies
ein Akt der Selbstvergewisserung: Wo stehen wir eigentlich?

EV: Und wie würden Sie Hamburgs Umgang mit seinen belasteten Denkmalen
insgesamt beschreiben?

Kern: Als durchaus
sehr aktiv in der jüngeren Vergangenheit, etwa durch die Gründung der
Forschungsstelle “Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe
Globalisierung”. So etwas haben nicht viele Städte vorzuweisen. In den
kommenden Jahren wird man sehen, wie sich einzelne Fälle entwickeln. Aber
wichtig ist, sich überhaupt die Frage zu stellen, wie man langfristig mit belasteten
Denkmalen umgehen will.

Offshore-Branche bangt um Ausbauziele

Die norddeutsche Offshore-Windenergie-Branche fürchtet
um ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Hintergrund ist der Entwurf für das
sogenannte Energiesammelgesetz,
wie die dpa gestern berichtete. Um ihre Klimaziele zu erreichen, will die
Bundesregierung Regelungen für die erneuerbaren Energien
festschreiben, mit denen die Bereiche
Windenergie – jedoch an Land – und Photovoltaik intensiver ausgebaut werden können als geplant. Die Rede
ist von Wind- beziehungsweise Solaranlagen, die je vier Gigawatt produzieren
sollen. Ausgeklammert wurde hingegen der Bereich Windenergie auf See
und das, obwohl dieser Branchenzweig dem Bericht zufolge laut Koalitionsvertrag
einen nicht näher definierten “Sonderbeitrag”
zum Erreichen der Klimaziele leisten soll. “Für
uns ist völlig unverständlich, warum
die Windenergie auf See in dem Gesetz nicht drinsteht”, sagte
der Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, Andreas Wagner,der dpa.
Deutschland sei hier auf die Bremse getreten, während der Bereich etwa in Asien
oder Nordamerika ausgebaut werde. Die fehlenden Ausschreibungen laufen damit
einem erklärten Ziel der norddeutschen Bundesländer, der Branchenverbände und
der Gewerkschaften zuwider, nämlich die Kapazitäten bis 2030 auf mindestens 20
Gigawatt zu erhöhen statt lediglich auf 15, wie derzeit festgelegt. Noch befindet
sich der Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung. Die Offshore-Branche hofft
auf eine Modifizierung. Anderenfalls drohten Hersteller und Betreiber von
Offshore-Windkraftanlagen vertrieben zu werden
, sagte Wagner.

Kindersegen bei den Beachvolleyballerinnen

Wenn Hamburgs Beachvolleyballstars Kira Walkenhorst und Laura
Ludwig
in Zukunft zu Turnieren reisen, haben sie eine halbe Kita-Gruppe im
Schlepptau. Nach Laura Ludwig wurde nun auch Walkenhorst Mutter. Ihre Ehefrau Maria brachte am Donnerstag in Barmbek
die Drillinge Emma, Pepe und Mo zur Welt. “Allen Beteiligten geht es gut”, schrieb Walkenhorst auf ihrer
Facebook-Seite. “Die nächste Zeit wird definitiv ein Spagat zwischen familiären
und beruflichen Verpflichtungen.” Davon kann Laura Ludwig schon etwas länger
ein Liedchen singen. Im Juni bekam sie Sohn Teo, erst vor Kurzem ist sie wieder ins Training eingestiegen. Doch
wie ist es für eine Spitzensportlerin, eine mehrmonatige Trainingspause wieder
aufzuholen? Und was war in dieser Zeit für sie das wirklich Anstrengende? Das
hat sie Tobias Landwehr in einem ausführlichen Interview erzählt, nachzulesen
in der aktuellen ZEIT:Hamburg, am Kiosk
oder hier digital.

Mittagstisch

Pizzavielfalt auf St. Pauli

 

Hohe Stühle laden zum Sitzen ein, auf den Holztischen stehen Töpfe mit frischen Kräutern, und tiefe Fenster bieten einen spektakulären Blick auf den Hafen. Das vor wenigen Wochen auf St. Pauli eröffnete Salvia ist vom ersten Moment an angenehm einnehmend. Gleich am Beginn des weitläufigen Raumes befindet sich ein Tresen mit einer großen Auswahl an fertigen Pizzen. »Pizza al taglio« nennt sich dieses in Italien selbstverständliche Konzept, bei dem man sich einfach aussucht, wie viel man von welcher Pizza gern hätte (100 Gramm für 1,79 Euro). Perfekt, denn so kommt man schnell in den Genuss ganz unterschiedlicher Geschmacksrichtungen wie Mozzarella, Thunfisch, Ofengemüse und Ziegenkäse mit Walnüssen und Honig. Der Teig ist knusprig und aromatisch, die Beläge sind lecker. Die sympathische Inhaberin, Anni López, hat sich mit dem Salvia (steht für Salbei) den Traum vom eigenen Laden erfüllt und hier in der Bernhard-Nocht-Straße einen guten Ort für Pizza und einige Pasta-Gerichte geschaffen. Nur an der nicht so großen Getränkeauswahl könnte noch ein bisschen gearbeitet werden.

 

St. Pauli, Salvia, Bernhard-Nocht-Straße 1–3, Mo–Fr ab 12, Sa+So ab 14 Uhr

 

Elisabeth Knoblauch

Was geht

Frau Diplomatie: Internationale Politik ist
weitgehend Männersache. Braucht sie mehr weibliche Stimmen? Darüber diskutieren
die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann (CDU) und der ehemalige
Diplomat Thomas Matussek: Frauen in der Außenpolitik –
muss Diplomatie weiblicher werden?

KörberForum, Kehrwieder 12, 19 Uhr,
Anmeldung online

Dringend ins Ohr: Im Sommer schloss sich Alex Clare in einem Studio
in Leeds
ein. Das Ergebnis
heißt “Three Days at Greenmount” und ist ein Album, dem Kritiker “intime
Dringlichkeit” attestieren. Der Brite startet darin mit einem Mix aus Soul, Dubstep
und Elektro durch.

Mojo,
Reeperbahn 1, 19 Uhr, VVK 31,50 Euro

Was kommt

Dicke
Hanse-Luft:

Was haben Autos in der Stadt noch zu suchen? Durch das Diesel-Fahrverbot hat
Hamburg ein sichtbares Zeichen gesetzt, das auch diese Frage aufwirft. Was
sollte darüber hinaus geschehen, um die Schadstoffbelastung zu senken? Darüber
diskutieren Manfred Braasch, Geschäftsführer BUND, und Jens Kerstan,
Senator für
Umwelt und Energie, mit Frauke
Hamann
von der ZEIT-Stiftung sowie mit den
ZEIT-Redakteuren Marc Widmann und Patrik Schwarz. Zur Sache, Hamburg: “Dicke Luft – Welche Rolle
soll das Auto in der Stadt noch spielen?”

Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Mi, 20
Uhr, Anmeldung online

Radikal nachhaltig: Nachhaltigkeit scheint bisher eher ein
Wohlfühlmotto denn
Realität zu sein. Experten aber sagen, sie müsste viel weiter reichen und ökologische, soziale und ökonomische Gerechtigkeit
miteinander verbinden. Wie soll das gehen? Dialogforum der Werkstatt für
internationale Kultur und Politik (W3): “Nachhaltigkeit radikalisieren”.

GLS Gemeinschaftsbank, Düsternstraße 10, Do,
10–17 Uhr, Spenden erbeten, Anmeldung unter 040/39 80 53 83

Hamburger Schnack

Shopping mit der vierjährigen Enkeltochter: Sie kommt mit einem neuen Kleid aus der Umkleidekabine, stellt sich vor einen großen Spiegel und fragt: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Nach einem kurzen prüfenden Blick liefert sie sich die Antwort selbst: »Ich.«

 

Gehört von Gudrun Stephan

Meine Stadt

St. Petri im Nebel – mit direktem Draht zum Himmel

St. Petri im Nebel – mit direktem Draht zum Himmel
© Kai Riedemann

Das war sie wieder, die Elbvertiefung. Wollen Sie uns Ihre Meinung
sagen, wissen Sie etwas, über das wir berichten sollten? Schreiben Sie uns: elbvertiefung@zeit.de

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Morgen begrüßt Sie an dieser
Stelle wieder Mark Spörrle.

Ihre

Sigrid Neudecker

 

PS: Gefällt Ihnen unser Letter, leiten Sie ihn gern weiter. Haben
Sie ihn weitergeleitet bekommen, melden Sie sich ganz einfach und unverbindlich
an unter www.zeit.de/elbvertiefung.
Dann schicken wir Ihnen die neue Elbvertiefung, solange Sie wollen, immer
montags bis freitags ab 6 Uhr.

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