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Brexit: Arm, aber frei

Großbritannien hat getan, was niemand für möglich gehalten hat. Mit
trotziger Unbeugsamkeit haben die Briten der EU den
Stinkefinger gezeigt. Chancenlos? Unrealistisch in einer globalen Welt, in der ein kleines Land wie Großbritannien nur schwer ganz allein, ohne komplizierte
Verträge mit und Zugeständnissen an seine Nachbarn, prosperieren kann?
Das stolze Großbritannien widerstand den vielen Bedenkenträgern und zerschlug
mit einem Streich den gordischen Knoten moderner Komplexität. Brexit
heißt Brexit.

Zwei Jahre später
hat die Unmöglichkeit dieses Befreiungsschlages die britische
Regierung eingeholt. Während Theresa May Zug um Zug das Land
in einen hässlichen, ungeliebten Kompromiss mit der Realität zu
führen versucht, halten die Befürworter eines harten Schnitts mit der EU an ihren romantischen
Freiheitsträumen fest. Männer wie der erzkonservative Abgeordnete
Jacob Rees-Mogg, sicher im Bewusstsein eines ererbten, im Ausland
investierten Vermögens, beteuern: Alles ist möglich, wenn nur
Großbritannien seinen Mut nicht verliert und ebenso zuversichtlich
wie selbstbewusst an eine strahlende, unabhängige Zukunft glaubt.

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Die britische Premierministerin Theresa May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
© John Thys/AFP/Getty Images

Was die harten Brexiter gegen
die EU aufbringt, ist die Vielzahl an Gesetzen und Regulierungen, die
in Europa für vergleichbare soziale und wirtschaftliche Verhältnisse
sorgen soll. Der vom australischen PR-Guru Lynton Crosby für die
Leave-Kampagne entworfene Slogan “Take back control” (“Kontrolle
zurückgewinnen”) brachte diesen Unmut auf den Punkt und fand so bei vielen Briten Gehör. Die harten Brexiteers wollen jedoch nicht nur
nationale Kontrolle zurückgewinnen, sie wollen das Land und seine
Wirtschaft so weit wie möglich von jeder einengenden Aufsicht
befreien. Der Staat, den Brexiter sich für ein von EU-Fesseln
befreites Großbritannien wünschen, ist entschieden
wirtschaftsliberal.

Zwar haben die Befürworter eines harten Schnitts mit der EU bis heute keinen kohärenten Entwurf für die Zukunft Großbritanniens
vorgelegt – das vor allem erklärt, warum Theresa May trotz
zahlreicher katastrophaler Fehler, Fehleinschätzungen und
Kehrtwendungen immer noch im Amt ist. Wo jedoch Brexiter ihre
Ideensplitter veröffentlichten, zeigten sie sich konsequent als
Verfechter des minimalen Staates und des maximalen Wettbewerbs.
Kurzes Aufsehen erregten Ideen, die polemisch – und nicht ganz
korrekt – “Singapore-on-Thames” getauft wurden. Nach dem Brexit,
so verkündete im Januar 2017 Schatzkanzler Philip Hammond, könnte
Großbritannien durch aggressive Deregulierung den einstigen
EU-Partnern scharfe Konkurrenz machen. Hammond zählt nicht zu den
Brexit-Ideologen, sein Vorschlag verschwand schnell wieder in der
Versenkung, nachdem Kritiker die offensichtlichen Nachteile für
britische Arbeiter und Verbraucher herausstellten.

Die Brexit-Ideologen schreckte das jedoch nicht. Liam Fox, der zumeist vergessene
britische Handelsminister, plant die Streichung
lästiger Standards für Lebensmittel
, um neue Handelsverträge mit den USA abschließen zu können.
“Bessere” Regeln für die Wirtschaft zählen zu den wichtigsten
Anliegen der von Jacob Rees-Mogg geleiteten European
Research Group. Rees-Mogg schlägt vor, Einfuhrzölle zu streichen
oder doch auf ein Minimum zu reduzieren, um den Handel mit der weiten
Welt jenseits der EU zu beflügeln. Britische Verbraucher, lockt er,
könnten dank billiger Importe günstiger einkaufen. Dass zugleich
britische Bauern und Produzenten der schärferen Konkurrenz nicht
gewachsen sein könnten, geht in der Ideologie des Wettbewerbs unter.

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