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Amazon: Queens kann einpacken

Von dem Protest ein paar Hundert Meter weiter hat Donna Drimer noch
nichts mitbekommen. In ihrem Laden auf dem Vernon Boulevard sieht es aus
wie in einer Zeit vor Amazon und dem Internet. Ständer mit
Glückwunschkarten stehen auf der einen Seite, Holzrahmen für Bilder auf
der anderen; dazwischen gibt es Geschenkband, Schmuck und Kleidung, an
den Wänden hängen Bilder und Zeichnungen. Es könnte sich auch um das
Atelier einer Künstlerin handeln. Seit zehn Jahren betreibt Drimer den
Geschenkeladen in Long Island City im New Yorker Bezirk Queens. Doch
seit sich die Gegend zunehmend verändert und die Laufkundschaft
ausbleibt, läuft das Geschäft nicht mehr gut. “Wenn ich nicht schon so
lange dabei wäre und Stammkunden hätte, dann gäbe es mich vermutlich
nicht mehr”, sagt sie. Inzwischen bietet sie auch Onlineauktionen an,
um über die Runden zu kommen. Jetzt soll neue Hilfe aus dem Internet
kommen. Denn mit dem zukünftigen Nachbarn, hofft Drimer, soll es wieder
aufwärtsgehen.

Seit wenigen Tagen steht fest, dass Amazon die Hälfte seines neuen
Hauptquartiers in Queens errichten will
. Mehr als ein
Jahr hat die Suche gedauert, 238 Städte hatten sich beworben, 20 hatten
es in die letzte Runde geschafft. Noch finden sich auf dem Vernon
Boulevard zwischen 42. und 44. Straße vor allem Parkhäuser, leere
Fabrikhallen oder Brachflächen. Bald aber will der Onlinehändler aus
Seattle hier 25.000 Mitarbeiter beschäftigen. In den kommenden zwölf
Monaten soll mit dem Bau begonnen werden. Den Zuschlag hat sich die
Stadt einiges kosten lassen. Mehr als 1,5 Milliarden Dollar an
Steuererleichterungen und Zuschüssen soll Amazon in den kommenden zehn
Jahren erhalten, anschließend könnten weitere 1,3 Milliarden folgen. Als
Teil des Deals soll Amazon-Chef Jeff Bezos auch einen eigenen
Hubschrauberlandeplatz bekommen.

Donna Drimer in ihrem Laden

Donna Drimer in ihrem Laden
© Thorsten Schröder für ZEIT ONLINE

Im Gegenzug plant der Konzern eigene Investitionen in Höhe von 2,5
Milliarden Dollar und die Errichtung eines energieeffizienten Campus auf
zunächst 371.000 Quadratmetern. Innerhalb von 15 Jahren soll die Fläche
weiter wachsen, dann entspräche sie der Grundfläche von drei Empire State
Buildings. Noch nie habe der Bundesstaat ein größeres
Entwicklungsprojekt verabschiedet, erklärte ein sichtlich zufriedener
Andrew Cuomo in dieser Woche. Der Gouverneur des Bundesstaates New York sagte, der Deal mit Amazon werde sich als
“Geldmaschine” entpuppen. Bill de Blasio, Bürgermeister von New York,
sprach in seltener Einigkeit mit dem Gouverneur von einem
“außerordentlichen Tag für Queens”. Man habe hart verhandelt,
versicherte er. Der Konzern habe versprochen, beim Bau zweier Schulen zu
helfen, in die Infrastruktur zu investieren und an lokalen Jobmessen
teilzunehmen. “Welcher Politiker würde dazu nein sagen?”, meint auch
Donna Drimer.

“Es sieht aus wie in Dubai”

Die Demonstranten auf dem Vernon Boulevard sehen wenig Grund zu feiern.
Ein paar Dutzend sind an diesem Vormittag gekommen, um wenige Blocks vom
künftigen Hauptquartier entfernt gegen die Pläne zu protestieren. Es
sind vor allem Mitglieder der örtlichen Einzel- und
Großhandelsgewerkschaft und Lokalpolitiker, auch ein paar Anwohner sind
gekommen. Sie werfen Cuomo und de Blasio vor, ohne Grund Geschenke an den Konzern zu verteilen.
Ihnen gegenüber stehen mindestens genauso viele Fernsehkameras
und Reporter.

“Es sieht doch heute in Long Island City schon aus wie in Dubai oder
Singapur”, meint Mark Kingsley, der mit einigem Abstand zu dem Protest
steht. Seit 32 Jahren lebt der Designer in New York, die steigenden Mieten haben ihn
in dieser Zeit durch alle Stadtteile getrieben. Seit seiner Scheidung vor
sechs Jahren lebt er in Queens. Allein in seinem Block entstünden gerade
sieben neue Wohnhäuser, sagt Kingsley. Bettentürme nennt er sie, weil
die Leute, die dort wohnten, nur zum Schlafen nach Long Island City
kämen. Viele Wohnungen stünden außerdem leer oder gehörten Investoren,
die auf steigende Preise spekulierten.

Von Manhattan ist es nur eine U-Bahn-Station bis nach Long Island City.
Wer früher hier gewohnt hat, würde die Gegend
wohl kaum wiedererkennen. Wo einst Parkhäuser, Fabrikhallen und
Autowerkstätten das Straßenbild prägten, reihen sich heute zahlreiche
gläserne Wohntürme am Ufer des East River entlang. In den vergangenen
fünf Jahren ist die Zahl der Einwohner von 66.000 auf 80.000 gestiegen.
Viele sind aus Manhattan auf die andere Seite des Flusses gezogen, weil
die Mieten auf dieser Seite niedriger sind. Niedrig ist allerdings
relativ. Der Andrang hat die Preise pro Jahr um bis zu zwölf Prozent nach
oben getrieben, eine Einzimmerwohnung kostet heute 2.500 bis 3.900 Dollar Miete im Monat.

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