/Brasilien: “Was nicht ins rechte Denken passt, wird als Kommunismus abgestempelt”

Brasilien: “Was nicht ins rechte Denken passt, wird als Kommunismus abgestempelt”

Brasilianische Politiker haben dazu aufgerufen, Vorlesungen zu filmen und politische Aussagen von Professoren zu melden. Ein Professor erzählt, warum ihm das Angst macht.

Kurz nachdem der Rechtspopulist Jair Bolsonaro zum brasilianischen Präsidenten gewählt worden war, postete eine neu gewählte Abgeordnete von Bolsonaros Partei einen Aufruf bei Facebook: Schülerinnen und Studierende sollten aufzeichnen, wenn sich Lehrer oder Professorinnen politisch äußern, und die Aufnahmen einsenden, schrieb sie. Die Abgeordnete vermutete, dass viele Lehrkräfte nach Bolsonaros Wahlsieg wütend sein und diese Wut in ihrem Unterricht äußern würden.

Marcelo Markus Teixeira ist Professor in dem Teil Brasiliens, in dem die Abgeordnete gewählt wurde. Wir haben mit ihm über die Stimmung an den Universitäten gesprochen – und darüber, was noch kommen könnte. Teixeira hat lange überlegt, ob er seinen Namen veröffentlichen möchte. Am
Ende hat er sich dafür entschieden, aber nur, weil wir dieses Interview
auf Deutsch führen.

ZEIT Campus ONLINE: Herr Teixeira, eine Abgeordnete aus Ihrem Bundesstaat hat dazu aufgerufen, politische Aussagen von Lehrerinnen und Professoren zu melden. Sie sind Professor. Macht Ihnen das Angst?

Marcelo Markus Teixeira:
Momentan habe ich noch keine Angst, dass Äußerungen von mir persönlich
aufgenommen werden. Ich bin Jurist und unterrichte internationales Privatrecht. Das ist ein sehr
technisches Fach, wir haben keine Zeit für große politische
Diskussionen. In Fächern wie Verfassungsrecht oder Einführung in das
brasilianische Recht ist das heikler. Aber ich habe Angst vor der
ganzen Situation. Diese Wahl hat gezeigt, wie viele Brasilianer denken. 

ZEIT Campus ONLINE: Und, wie denken sie?

Teixeira: Ich wusste nicht, dass in den Menschen so viel Hass gegen andere
schlummert. Menschen, die rechtsextremistisch denken, die etwas gegen People
of Color und Homosexuelle haben, haben jetzt die Möglichkeit, das offen
zu sagen. Es gibt auch Juraprofessoren, die diese Art von Denken
unterstützen, das ist erschreckend. Der verbreitete Hass gegen
Minderheiten und die Akzeptanz dieses Hasses machen mir Angst.

ZEIT Campus ONLINE: Wie haben Sie von dem Aufruf erfahren, Professoren aufzuzeichnen und zu melden?

Teixeira: Ich habe ihn am Tag nach der Wahl bei Facebook gesehen. Kurz darauf hat sich dann die Staatsanwaltschaft um den Fall gekümmert.

ZEIT Campus ONLINE: Was heißt das, sie hat sich gekümmert?

Teixeira: Die Abgeordnete wurde aufgefordert, den Aufruf aus den sozialen Medien zu löschen. Er verstößt gegen die Freiheit der Lehre, die in der Verfassung garantiert ist. Das Urteil ist eine Demonstration, dass Bildungsinstitutionen in Brasilien noch unabhängig sind.

ZEIT Campus ONLINE: Haben Sie außer dem Posting der Abgeordneten noch weitere solche Aufrufe gesehen?

Teixeira: Zwei Tage, nachdem ich das Facebook-Posting gesehen hatte, bekam ich bei WhatsApp ein Video zugeschickt. Ich weiß nicht genau, wann es aufgenommen wurde. Jedenfalls sagt Präsident Bolsonaro darin auch, dass Schüler alle Aussagen filmen sollen, die sie nicht richtig finden. Die Eltern hätten das Recht zu erfahren, was ihren Kindern beigebracht wird.

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