Sein Image ist schlecht: Im besten Fall gilt Datenschutz als
langweilig und bürokratisch. Vor allem die Wirtschaft stöhnt. Datenschutz –
heißt es oft – verhindere schöne, neue Geschäftsideen. Und es stimmt ja auch:
Zahlreiche Konzepte der digitalen Datenwirtschaft lassen sich mit dem europäischen Datenschutzrecht nicht vereinbaren. Big Data ist eben das Gegenteil
von Datenschutz. Facebook, um nur ein Beispiel zu nennen, und Privatsphäre
sind zwei Welten, die nicht zusammenpassen. “Privacy
is dead“, heißt es schon länger im Silicon Valley.
Noch gravierender in Zeiten der allgegenwärtigen Terrorismusangst:
Datenschutz wird oft als Gegenspieler der öffentlichen Sicherheit angesehen. Er
verhindere wirkungsvolle Sicherheitsmaßnahmen, die vor Kriminalität und
Terrorismus schützen könnten. Eine engmaschige Vernetzung aller
Sicherheitsbehörden und ihrer Daten könne Terroranschläge und
Straftaten verhindern. Big Data könnte auch die Arbeit der Polizei verbessern.
Ein Beispiel: Aus der Perspektive von Polizei und Sicherheitsbehörden ist eine
möglichst lückenlose Überwachung von öffentlichen Plätzen und Orten durch smarte
Kameras wünschenswert. Bilder von Überwachungskameras helfen bei der
Strafverfolgung und – vielleicht – auch bei der Terrorabwehr. Der Effekt kann
noch gesteigert werden, wenn dabei Software eingesetzt wird, die Gesichter
erkennen kann. Dann werden Täterinnen und Täter nicht nur gefilmt, sondern gleich auch
automatisch mithilfe von Algorithmen identifiziert und zur Fahndung ausgeschrieben.
Erste Pilotprojekte mit solchen hoch entwickelten Smart-Cams laufen bereits.
Aus der Sicht des Datenschutzes ist das allerdings ein
Horrorszenario. Eine potenziell lückenlose Überwachung des öffentlichen Raums
mit intelligenten Kameras macht detaillierte und individualisierte
Bewegungsprofile möglich. Wer war wann wo und hat was gemacht? Wer Zugriff auf
die Bilder hat, weiß das alles. Das ist der digitalisierte und vernetzte
Überwachungsstaat.
Jeder hat etwas zu verbergen
Ob explizit oder subtil: Jeder, der für Datenschutz plädiert, wird mit dem “Nothing to
Hide”-Argument konfrontiert. Dieses Argument geht so: Wer nichts zu verbergen
hat, muss ja keine Angst vor Überwachung haben. Ergo: Wer für Datenschutz ist,
hat wohl etwas zu verbergen – und ist deshalb verdächtig. Auf den ersten Blick
klingt das plausibel.
Trotzdem ist das Argument falsch. Denn jeder und jede hat etwas zu
verbergen, nicht nur Kriminelle oder Terroristen. Das lehrt uns die
Entwicklungspsychologie. Jeder Mensch braucht Rückzugsräume, in denen er frei
von Beobachtung, sozialer Kontrolle und Überwachung ist. Hier kann man sich gehen
lassen und von sozialen Spannungen erholen. Eine geschützte Privatsphäre rettet
vor dem seelischen Burnout. Nur unbeobachtete Freiräume bieten die Möglichkeit, alle
Facetten der Persönlichkeit auszuleben, auch die, die gesellschaftlich
stigmatisiert und sozial unerwünscht sind. Nur wer nicht beobachtet wird, kann
sich ohne sozialen Druck ausprobieren und weiter entwickeln: Wer bin ich? Wer
und was möchte ich sein? Wer ständig mit Beobachtung rechnen muss, kann solche
Fragen nicht wirklich autonom und authentisch beantworten.
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