Gerade Jahre sind ganz besondere Sportjahre. Olympische Spiele, eine Fußball-WM – auch 2018 ließ sich nicht lumpen. Unsere Sportreporter haben sich über das Beste aus dem Jahr noch einmal Gedanken gemacht.
Mein Sportmoment des Jahres
Das Solo des Frankfurters Mijat Gaćinović im Pokalfinale. Eigentlich, denkt man, gewinnt ein Tor an Reiz, wenn es besonders überraschend fällt. Dieser Treffer hingegen erregte so viele Menschen, weil er schon sieben Sekunden oder siebzig Meter vorher absehbar war – denn das Tor der Bayern war leer. Die Ersatzspieler rannten vor lauter Glück aufs Feld, der ausgewechselte Ante Rebić fiel seinem Trainer Niko Kovač am Seitenrand um den Hals, als Gaćinović noch auf seinem Weg war. Ich sah das Spiel nicht live, weil ich im Ausland war. Doch ein Freund, der im Frankfurter Block stand, erzählte mir später mit feuchten Augen, dass es sein schönstes Stadionerlebnis war und er durch diesen himmlischen Moment den Glauben an den Fußball zurückgewann. (Oliver Fritsch, Sportredakteur)
McGregor gegen Nurmagomedov? Das mag für viele der Kampf des Jahres gewesen sein. Ich persönlich fand James gegen Hilbrecht viel interessanter. Ich habe nämlich LeBron James interviewt. Das ist der größte Sportler des Planeten und eine weltweite Ikone. Klingt gut, ich weiß. Problematisch wird es nur, wenn man wegen Englisch in der 11. Klasse sitzen geblieben ist und lediglich dank DeepL und dem Google Translator durchs internationale Leben kommt. Aber ging dann doch. (Hannes Hilbrecht, WM-Redakteur)
Wenn 2018 mit sechs Jahren Verspätung noch Olympiasieger von London wegen Dopings disqualifiziert werden müssen und ständig neue Sauereien aus den Lecks des Fußballgewerbes tröpfeln, hilft nur Nostalgie. Deshalb fand mein Moment des Jahres auf keinem Sportplatz statt, sondern auf einer Bühne: das Gipfeltreffen der grand old Schachteln Günter Netzer und Horst Hrubesch bei der Verleihung des Deutschen Fußballkulturpreises in Nürnberg. Der Pferde-, Frauen- und Nachwuchsfußballerflüsterer bekam die Auszeichnung fürs Lebenswerk, der immer noch langhaarige Spielmacher war der Gratulant (er hat den gleichen Preis schon vor fünf Jahren erhalten). Die beiden sind Freunde, seit Netzer als Managernovize beim HSV das Kopfballungeheuer in die 1. Liga holte, weil er von dessen 42 Zweitligatoren für Rot-Weiß Essen in der Zeitung gelesen hatte – Scouting anno ’78. Das zehnminütige Geplänkel der beiden über die guten alten Zeiten lieferte mehr Pointen als alle Interviews mit Jogi Löw seit seinem Amtsantritt als Bundestrainer. Aus diesem Moment erwächst mein Motto für das Sportjahr 2019: Gestern ist hoffentlich das neue Morgen. (Christof Siemes, Olympia-Reporter)
Es dauerte nur fünf Sekunden, und das sagt eigentlich schon alles. Der Franzose Kylian Mbappé rannte im WM-Achtelfinale mit Ball aus der eigenen Hälfte bis zum Strafraum der Argentinier, hängte vier Gegner ab und kam erst durch ein Foul zu Fall. Ihn stoppt man nicht fair. Der Abstieg der behäbigen Argentinier, der Aufstieg der dynamischen Franzosen, alles zeigte sich in diesen Sekunden. Ich saß in einer Bar in Moskau, um zum ersten Mal von einer Fußball-WM zu berichten. Die Gesichter der Argentinier, die aus dem dunklen Innenraum der Bar hervorkrochen, nachdem das Spiel zu Ende war, die ehrliche Enttäuschung, das werde ich nie vergessen. (Fabian Scheler, Sportredakteur)
Das WM-Aus der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ich
erinnere mich noch gut an den Moment, an dem Deutschland – zum ersten Mal
überhaupt – nicht das Achtelfinale bei einer Weltmeisterschaft erreichte. Ein
historischer Tag. Am gleichen Morgen war auch ein Text von mir über das Team der Südkoreaner und die Wehrpflicht erschienen, die auch Fußballer absolvieren müssen. Fast wie eine Prophezeiung. (Annika Langrock, Sporthospitantin)
Mein/e Sportler/in des Jahres
Kristina Vogel. Das Rückenmark der Bahnradfahrerin wurde am
siebten Brustwirbel durchtrennt; bei einem nicht selbst verschuldeten
Sturz mit 60 Kilometern pro Stunde. Sie war sofort querschnittsgelähmt.
Von der Leistungssportlerin, die ihren Körper fordert und optimiert zur
sinnsuchenden Rollstuhlfahrerin in einer hundertstel Sekunde. Dann dieses Interview,
in dem sie Sätze sagt, bei denen einem mehrfach Schauer über den Rücken
laufen. Was für eine starke, mutige Frau, was für ein Vorbild.
Vor Weihnachten hat sie das Krankenhaus verlassen, um mit der Familie
zu feiern. Wie schön. (Fabian Scheler, Sportredakteur)
Endlich! Endlich klappte es mit Gold für Aljona Savchenko. Ich schaute mir die Kür von ihr und ihrem Partner Bruno Massot mehrfach an, so ergreifend, grazil und perfekt war sie. Eiskunstlauf kann langweilen – oder einen, wie bei den beiden, in den Bann ziehen. Und am Ende fließen Tränen. In den Interviews wurde auch klar, wer bei dem Paar die Hosen anhat. Aljona blickte kurz streng und Bruno gehorchte. Er zog seine Motivation daraus, dass sie nicht mit ihm schimpfen muss. War sie zufrieden, dann war alles gut. Ein tiefer Blick in die Männerseele. (Oliver Fritsch, Sportredakteur)
Nick Foles. Der Ersatz-Quarterback der Philadelphia Eagles. Im Super Bowl spielte er notgedrungen gegen Tom Bradys New England Patriots. Ein Duell, ungefähr so ausgeglichen wie ein Fußballspiel zwischen Traktor Oberschöneweide und Bayern München. Aber Foles, die langjährige Lachnummer, lieferte sich mit Brady einen irren Showdown. Touchdown um Touchdown regnete auf die Fans herab. Am Ende gewann Foles, weil er besser spielte als der größte Quarterback aller Zeiten. (Hannes Hilbrecht, WM-Redakteur)
Dass die Tschechin Ester Ledecká bei den Winterspielen in
Südkorea Gold auf dem Snowboard gewann, damit hatten Experten gerechnet,
schließlich kann sie das besser als viele andere auf der Welt. Dass sie
aber auch noch im Super G siegte, einem Wettbewerb, an dem sie nur aus
Langeweile teilnahm, noch dazu auf geliehenen Skiern, so viel
Vielseitigkeit überraschte sie sogar selbst. Auf der Pressekonferenz
erschien sie mit Mütze und Skibrille, sie hatte kein Make-up drauf, weil
sie nicht damit gerechnet hatte, zu gewinnen. Ihr Vater ist übrigens
ein Schlagerstar in Tschechien. Er versprach, seiner Tochter einen Song zu widmen. (Christian Spiller, Sportredakteur)
Aljona Sawtschenko. Nach dem Kurzprogramm bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang hatte die Paarläuferin ihren patzenden Partner Bruno Massot noch mit einem Eisprinzessinnenblick schockgefrostet. Am Tag darauf, nach der Goldmedaille für die gemeinsame Weltrekordkür, konnte sie gar nicht aufhören, zu weinen. Alles, was Sport ausmacht, verdichtet sich in dieser zierlichen Athletin: Der nicht immer menschenfreundliche Ehrgeiz, der notwendig ist für große Siege. Die Disziplin und Selbstbeherrschung, die es braucht, um nach Fehlern nicht zu hadern, sondern bedingungslos nach vorn zu blicken. Die Unbeirrbarkeit, mit der Spitzensportler daran glauben, dass auch das Übermenschliche menschenmöglich ist. Das Talent, aus der Härte gegen sich selbst (und andere) Momente zu erschaffen, die die ganze Welt bewegen. Und das Können, körperliche Anstrengung in echte Kunst zu verwandeln. Noch nie habe ich wegen eines Sportereignisses Tränen vergossen, nicht mal nach dem Abstieg von Borussia Mönchengladbach in die 2. Liga. Erst als Aljona nach ihrem vier Minuten und 40 Sekunden langen Wunderlauf wie hingegossen auf dem Eis lag, war es so weit. (Christof Siemes, Olympia-Reporter)
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