Muss es zum Abschied gleich der Zweizeiler sein, der ihn unsterblich
gemacht hat? Oder lässt er sich, weil F. W. Bernsteins
wortklabauterische Meisterschaft zuletzt im Sterblichen,
Allzusterblichen lag, doch noch eine Weile hinausschieben? Durch seine
“Frischen Gedichte”, 2017 im Verlag von Antje Kunstmann erschienen,
wehte schon der süßliche Geruch des Todes. “Die Zeit ist um”, hieß es
da. “Es ist so weit. / Wir sind schon in der Nachspielzeit. /
Schlusspfiff! Jetzt wird auferstanden! / Skelette raus, soweit
vorhanden; auf die Bühne zum Finale! / Weltgericht!” Solche Zeilen
bestanden zwar nicht mehr den Zwerchfelltest der jungen Jahre. In ihrer
bitteren Selbstironie zeugten sie, gebrechlich, wie Bernstein
geworden war, vielmehr von einem gequälten Lächeln. Aber sie streckten
sich noch immer lieber in Richtung höheren Unsinns als in Richtung
höherer Literatur.
Mit
moritatenhaftem Schmiss, Wilhelm Buschs unzerstörbarer Munterkeit als
Zeichner und Dichter stets näher als einem Vanitas-Schandmaul wie Peter Rühmkorf, versuchte er, dem Unausweichlichen ins Auge zu sehen.
Bernsteins Spottlust war dabei allgegenwärtig. “Rilke erfindet das
Dinggedicht. / Einige Dinge dichtet er nicht”, schrieb er an anderer
Stelle. “Die Wurzelbürste ist so eine: / In Rilkes Werken findest du
keine. / Keiner von all den Dichterfürsten / kümmerte sich um
Wurzelbürsten.” Darauf muss man erst mal kommen, zumal die “Inspiration”
sich als spürbar unzuverlässige Gefährtin erwies: “Als mich früh mein
Dämon rief, / lag ich flach im Leistungstief. / Fahr ich meine Lyrik
hoch / LYRIK HOCH / Geht doch noch.”
Tapfer schürfte
er in sich nach dem Komischen, wobei es nicht ausbleiben konnte, dass
er an manchen Tagen mit leeren Händen zurückkehrte. Am Ende entstanden
im Gefolge dieses poetischen Untertagebaus aber herrlich unangestrengt
wirkende Verse. Insbesondere Tiergedichte, in denen er das Lächerliche
des Menschenlebens spiegelte, hatten es ihm angetan. Bernsteins
“Tierleben” fasst die Lage so: “Ob es uns groß gekümmert hatte? / Es war
uns schnurz! / Das Leben unsrer Eintagsratte / war kurz. // Es muss ein
längeres Leben geben: / das des Klaviers. / Klingt auch viel besser,
dieses Leben / als wie der Ratte ihrs.”
Zurückhaltendes Temperament
Der überaus höfliche und
besonnene Schwabe aus Göppingen, der zur Künstlerwerdung seinen
bürgerlichen Namen Fritz Weigle auf die Initialen verkürzte und ihnen
seinen Spitznamen aus Schulzeiten anhängte, besaß ein stilles
künstlerisches Talent. Unter den Zeichnern und Textern, die seit 1981
durch den spontan entstandenen Titel einer Gruppenausstellung als Neue
Frankfurter Schule firmierten, hatte er jedenfalls sein eigenes
zurückhaltendes Temperament – und das Bedürfnis nach einem bürgerlichen
Leben ohne den Druck der freien Existenz. An der Kunstakademie Stuttgart
hatte er 1957 zu studieren begonnen und dort Robert Gernhardt kennengelernt, mit dem er im Jahr darauf an die Berliner Hochschule der Künste wechselte.
Ein Vierteljahrhundert später, im Jahr 1984, übernahm er dort eine
Professur für Karikatur und Bildgeschichte. Stationen zuvor waren die
Pädagogische Hochschule in Göttingen, wo er Zeichenlehrer ausbildete,
und Gymnasien in Frankfurt und um Frankfurt herum, wo er auch Deutsch
unterrichtete. Wie Chlodwig Poth,
Hans Traxler oder Pit Knorr kam er aus dem Stall des Satiremagazins
“Pardon”, für das er von 1964 an zusammen mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter die Beilage “Welt im Spiegel” erfand.
“WimS”, die
“unabhängige Zeitschrift für eine saubere Welt” in der Zeitschrift, mit
einem trotzigen “Pro bono, contra malum” im Signet, wirbelte die
traditionellen journalistischen Formen auf kleinstem Platz
durcheinander. In Wort, Strip und Cartoon probten die WimSler den
Aufstand des Nonsens gegen die erdrückenden Sinnzuweisungen der
Nachkriegswelt. In Gestalt des neunmalklugen Universalgelehrten Arnold
Hau, den Alfred Edel filmisch mehrfach eindringlich verkörperte, schuf
das Trio überdies seine eigene Deutungsinstanz.
Klimawechsel bei der “Titanic”
Der Geist dieser
Aufbruchsjahre, gleichermaßen immun gegen jedes bildungsbürgerliche
Pathos wie den hochtönenden Jargon, der sich im Gefolge der
Ideologiekritik von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter linken
Intellektuellen breitmachte, konnte nicht von Dauer sein. Während die
spezifische Art der Ironie, die Bernstein und Gernhardt pflegten, zu
einer neuen lingua franca des deutschen Komödianten- und
Kabarettistentums wurde, wuchsen in der “Pardon” die internen
Spannungen. Von 1979 an veröffentlichte Bernstein in der als Konkurrenz
gegründeten “Titanic”. Von den subtilen Bosheiten ihrer Anfangsjahre hat
sie sich heute zu einem Brutalzynismus entwickelt, mit dem Bernstein
nicht glücklich gewesen sein kann.
Hier muss nun endlich der Dauerbrenner zitiert werden, der noch die
Runde machen wird, wenn Bernstein selbst einmal vergessen ist: “Die
schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.” Mindestens
so haltbar ist indes ein anderer Klassiker: “Wachtel Weltmacht? / Schaut
euch nur die Wachtel an! / Trippelt aus dem dunklen Tann; tut grad so,
als sei sie wer. / Wachtel Wachtel täuscht sich sehr. / Wär sie
hunderttausend Russen, / hätt den Vatikan zerschussen / und vom Papst
befreit – ja dann: / Wachtel Wachtel Dschingis-Khan! / Doch die Wachtel
ist nur friedlich, / rundlich und unendlich niedlich; / sie erweckt nur
Sympathie. / Wachtel Weltmacht wird sie nie!” Am Donnerstag ist F. W. Bernstein, diese Steglitzer Weltmacht der Hochkomik, im Alter von 80
Jahren gestorben.
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