/Protestbewegung in Frankreich: Nicht besser als Frankreich

Protestbewegung in Frankreich: Nicht besser als Frankreich

Seit
Wochen destabilisiert der Aufstand der Gelbwesten Frankreich, wirtschaftlich wie politisch. Ein Stein
des Anstoßes ist die Abschaffung der Vermögensteuer für Superreiche und die
Erhöhung der Benzinsteuer, die vor allem Menschen mit geringen Einkommen
belastet. Die Politik tut überrascht und verteidigt sich mit dem Argument, man
habe doch auch die Mittelschicht und Geringverdienende in der Vergangenheit
entlastet.

In
Deutschland schauen wir mit Unverständnis auf Frankreich und können uns einen
solchen Aufstand gegen die Bundesregierung gar nicht vorstellen. Ein ehrlicher Blick
auf beide Länder zeigt jedoch, dass die Situation Frankreichs jener in
Deutschland erstaunlich ähnlich ist. Die deutsche Politik spielt mit dem Feuer,
wenn sie ihre Klientelpolitik fortsetzt und die Abschaffung des Solis und eine
wirtschaftlich unsinnige Entlastung der Vermögenden
weiterverfolgt.

In kaum
einem Land ist die steuerliche Belastung so hoch wie in Frankreich. Die
Kaufkraft des einkommensschwächsten Drittels der französischen Bevölkerung ist
in den vergangenen zehn Jahren geschrumpft. Die Wohnkosten und
Lebenshaltungskosten sind für viele zum Teil stark gestiegen. Und auch die
steuerliche Belastung hat für diese Menschen zugenommen. Die Verunsicherung ist
enorm, da viele Menschen in der Mittelschicht sich berechtigte Sorgen um ihre
Jobs und die Chancen ihrer Kinder und Enkelkinder machen, denn die Arbeitslosenquote
gerade bei jungen Menschen ist sehr hoch.

Wenig Arbeitslose – viele Niedriglöhner

So
notwendig und richtig die wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen von
Präsident Macron
auch sind, so haben sie diese Verunsicherung nochmals
verstärkt. Der große Fehler seiner Regierung ist es, diese Einschnitte vor
allem zulasten der Mittelschicht und der Einkommensschwächsten gestaltet und diese nicht
ausreichend entlastet und besser unterstützt zu haben. Die Abschaffung der
Vermögensteuer war so gesehen ein fataler Fehler. Das Argument dahinter – dass
es doch gut wäre, wenn die großen französischen Unternehmen wieder weniger in
ausländischer und mehr in nationaler Hand sind – ist nationalistisch und wirtschaftlich
unsinnig. Die Reform gab ein verheerendes Signal an die Bevölkerung darüber,
wer die Last der Reformen zu tragen hat.

Berichte
aus einem fernen, aufgewühlten Land, das nichts mit uns zu tun hat? Mitnichten.
Frankreich und Deutschland entwickeln sich viel ähnlicher, als viele dies
wahrnehmen. Seit dem Jahr 2000 sind die Wirtschaftsleistungen pro Kopf in
Frankreich und in Deutschland ähnlich stark gestiegen, Löhne und
Arbeitseinkommen in Deutschland sind dagegen sehr viel weniger als in
Frankreich gewachsen. Dabei hat das einkommensschwächste Drittel in Deutschland
seit Mitte der Neunzigerjahre Einbußen in der Kaufkraft ihrer Einkommen erfahren
müssen.

Die
Arbeitslosenquote in Deutschland ist zwar deutlich niedriger, aber Deutschland
hat einen fast doppelt so großen Niedriglohnsektor wie Frankreich. Mehr als
jede fünfte Arbeitnehmerin oder jeder fünfte Arbeitnehmer arbeiten zu Löhnen, die am oder
nur geringfügig über dem Mindestlohn liegen, oder sie sind atypisch
beschäftigt. Die Wohnkosten in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren für
viele stärker gestiegen als in Frankreich. Das betrifft ungewöhnlich viele
Deutsche, da – anders als in Frankreich – die meisten vor allem in den Städten kein
Wohneigentum haben und voll von der Steigerung der Mietkosten betroffen sind.

Kurzum,
genauso viele Deutsche wie Franzosen sind in den vergangenen 20 Jahren
wirtschaftlich abgehängt worden und machen sich berechtigte Sorgen um ihre
Zukunft. Die Unzufriedenheit in Deutschland ist ähnlich stark gestiegen wie in
Frankreich, trotz des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre. Einige klammern sich
an die Hoffnung, eine neue CDU-Vorsitzende, eine Ablösung von CSU-Chef Seehofer
oder ein weiteres Einprügeln auf Zuwanderer könnte die Unruhe in Deutschland
beenden. Diese Hoffnung wird sich als Illusion erweisen, denn nichts davon
verbessert die wirtschaftliche oder soziale Situation der Mittelschicht und der
Geringverdienenden in Deutschland.

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