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UN-Klimagipfel: “Wir müssen kämpfen”

Saleemul
Huq
ist
auf Klimagipfeln kein offizieller Unterhändler, sondern Berater für die Delegationen der am wenigsten entwickelten Länder. Sie leiden
besonders unter der Erderwärmung – weil sie arm sind und weil sie sich häufig in
besonders hart getroffenen Weltgegenden befinden. Huqs Heimatland Bangladesch gehört
auch zu dieser Gruppe.
In der Hauptstadt Dhaka leitet Huq das
International Centre for Climate Change and Development der Independent University, Bangladesh.
Er hat bislang an jedem Klimagipfel teilgenommen.

In Katowice geht es auch am Samstag nur sehr zäh voran.
Viele Details sind immer noch offen. Für die Länder, die Huq berät, geht es in den
Verhandlungen vor allem um drei Dinge: Wie können sie die Anpassung an den Klimawandel
schaffen? Wie viel Unterstützung bekommen sie von den Reichen? Und wer gleicht
die Schäden aus, die durch den Klimawandel bei ihnen entstehen? Huq ist
Spezialist in diesen Fragen.

ZEIT ONLINE: Herr Huq, wie bleiben Sie auch nach 24 Jahren motiviert
für den Klimagipfel?

Saleemul Huq: Es sind ja nur zwei Wochen im Jahr, die ich
den Klimagipfeln widme. Die anderen 50 Wochen arbeite ich vor Ort. Das
motiviert mich. Und es ist viel befriedigender, als auf dieser Veranstaltung zu
reden, reden, reden.

ZEIT ONLINE: Warum sind Sie hier?

Huq: Aus zwei Gründen: Ich folge den Verhandlungen und kann mich für ein gutes Ergebnis
einsetzen. Und auf den Veranstaltungen am Rande des Gipfels treffe ich
Menschen, die tatsächlich etwas für den Klimaschutz tun. Vor allem, seit das
Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 verabschiedet worden ist, wird das immer
wichtiger. In den beiden Wochen hier kann ich Dutzende Menschen treffen, die
ich im ganzen Rest des Jahres nicht schaffen würde zu treffen. Wir reden über
unsere gemeinsamen Interessen und darüber, was wir vor Ort tun können, nicht
über Worte auf einem Stück Papier.

ZEIT ONLINE: Sie spielen auf den Streit vom vergangenen Wochenende
an, auf dem es darum ging, ob der Gipfel den Sonderbericht des Weltklimarats
zum 1,5-Grad-Ziel “begrüßt” oder nur “zur Kenntnis nimmt”
.

Huq: Ja. Welches Wort man da wählt, macht einen
Riesenunterschied. Wer den Bericht nur zur Kenntnis nimmt, sagt dadurch: Er ist
uns egal. Wir glauben nicht daran.

ZEIT ONLINE: Was genau tun Sie in ihrer praktischen Arbeit
vor Ort?

UN-Klimagipfel: Saleemul Huq

Saleemul Huq
© Ted Aljibe/AFP/Getty Images

Huq: Ich helfe, Kapazitäten aufzubauen, damit die armen Länder
den Klimawandel besser in den Griff bekommen können. Also um Emissionen zu
senken und sich an den Wandel anzupassen. Das muss jedes Land lernen.

ZEIT ONLINE: Was meinen Sie damit: Kapazitäten aufbauen?

Huq: Im Pariser Klimaabkommen gibt es einen wichtigen
Artikel, den Artikel 11. Er unterstützt den langfristigen Aufbau von
Kapazitäten auf nationaler Ebene. In meinem Fall bedeutet das: Ich baue ein
Netzwerk von Universitäten aus den am wenigsten entwickelten Ländern auf.
Selbst die ärmsten Länder haben Universitäten, in Bangladesch gibt es davon
mehr als hundert. Wir helfen ihnen, ihre Fähigkeiten aufzubauen, in Zukunft die
Bürger und Führungspersönlichkeiten im Klimaschutz auszubilden.

ZEIT ONLINE: Können Sie ein Beispiel geben?

Huq: Nehmen Sie Bangladesch. An unseren Ingenieursfakultäten lernen
die Studenten alles über Solarenergie – und viele Absolventen
haben sich schon als Solarunternehmer selbstständig gemacht. In Bangladesch werden
mittlerweile mehr als fünf Millionen Haushalte über solare Kleinanlagen mit
Energie versorgt, vor allem mit Strom. Das sind rund 20 Millionen arme
Menschen.

Das zweite Beispiel ist die Landwirtschaft. An den Küsten
Bangladeschs steigt der Meeresspiegel. Die Böden und Gewässer werden deshalb
immer salziger, sodass traditionelle Ackerpflanzen nicht mehr gedeihen. Unsere
Forscher haben aber neue Arten entwickelt, zum Beispiel von Reis, die
salztolerant sind. Und sie unterstützen die Bauern dabei, diese Arten anzubauen.

ZEIT ONLINE: Auf den Klimagipfeln geht es oft darum, in
welchen diplomatisch verklausulierten Worten die beteiligten Staaten sich zu
mehr Klimaschutz verpflichten – und wie stark ihre Wortwahl am Ende ausfällt.
Was hat der Streit um Formulierungen mit ihrer praktischen Arbeit in Bangladesch
zu tun?

Huq: Wir hoffen, dass sich die Staaten in den Verhandlungen
zu noch mehr Ehrgeiz im Klimaschutz verpflichten. Hinter allem steht doch, dass
die Emissionen auf ein Niveau sinken müssen, mit dem die Erderwärmung unter 1,5
Grad bleibt. Das ist eine wirklich kritische Marke. Ob wir zwei Grad erreichen
oder 1,5 Grad, macht für die Menschen in Bangladesch einen enorm großen
Unterschied.

ZEIT ONLINE: Im Moment bewegt sich die Welt eher auf drei
Grad plus zu
. Und zuletzt sind die Emissionen sogar gestiegen. Warum sind 1,5
Grad so wichtig?

Huq: Wenn wir bei zwei Grad landen statt 1,5 Grad,
werden in Bangladesch viele Zehntausende Menschen ihre Existenzgrundlage
verlieren, vor allem in den tiefliegenden Küstengebieten, deren Bewohner jetzt
schon betroffen sind. Potenziell könnten zehn Millionen Menschen gezwungen
sein, ihre Heimat aufzugeben und zu migrieren. Das ist nur eine ungefähre
Größenordnung, aber sie verdeutlicht, wie groß der Unterschied zwischen zwei
und 1,5 Grad ist.

ZEIT ONLINE: Was ist mit den Industrieländern?

Huq: Auch das zeigt der 1,5-Grad-Bericht: Alle werden den
Unterschied zwischen zwei und 1,5 Grad spüren. Nicht nur die Armen. Der
Klimawandel trifft auch Deutschland, Großbritannien und die USA – alle
Länder. Und alle Länder müssen sich damit befassen.

ZEIT ONLINE: Was ist in Katowice für die Länder, die Sie
beraten, am wichtigsten?

Huq: Wir wollen ein ehrgeiziges Regelwerk, so ehrgeizig wie
möglich. Und wir wollen, dass das Abschlussdokument das Thema der Klimaverluste
und -schäden so behandelt, wie es seiner Relevanz entspricht. Wir können mittlerweile
die Schäden und Verluste direkt auf den menschengemachten Klimawandel
zurückführen, nicht nur auf einzelne Wetterereignisse. Darüber müssen wir reden.
Und es muss Geld geben, um die Klimaschäden zu bewältigen.

ZEIT ONLINE: Wie optimistisch sind Sie für ein gutes
Ergebnis?

Huq: Ich bin immer optimistisch. Aber ich bin ein
realistischer Optimist. Ich versuche, so viel wie möglich zu verlangen
– in dem Bewusstsein, dass wir nicht alles erreichen können, was wir wollen.
Aber wir müssen trotzdem dafür kämpfen.

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