/Bagatellschäden: Unfallflucht bei kleinem Kratzer?

Bagatellschäden: Unfallflucht bei kleinem Kratzer?

Kürzlich habe ich mit Freunden
folgende Frage diskutiert: Wenn ich beim Ausparken einen anderen Wagen
touchiere und einen Kratzer verursache, kann ich dann einen Zettel an die
Windschutzscheibe heften – oder mache ich mich dann strafbar, wie einige
Kumpels meinten? Wegen einer Bagatelle rückt die Polizei vermutlich nicht an,
aber ich möchte auch nicht der Unfallflucht bezichtigt werden. Wie verhält man
sich korrekt?, will
ZEIT-ONLINE-Leser Oliver Neumann wissen.

Gerade
wenn es schnell gehen muss und die Parklücke eng ist, kann es vorkommen, dass
ein anderer Wagen berührt und angekratzt wird. An sich keine große Sache, doch
die Rechtsprechung sieht das anders. “Unfallflucht ist letztlich ein atypischer
Straftatbestand”, erläutert Andreas Krämer, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main.
“Denn man kann eine schwere vorsätzliche Straftat begehen, etwa einen
Banküberfall oder Sprengstoffanschlag, und darf straffrei weglaufen. Wer aber
einem anderen Auto einen kleinen Kratzer zufügt – was eigentlich eine bloße
fahrlässige Ordnungswidrigkeit ist – der macht sich strafbar, wenn er wegfährt.”

Als
Straftatbestand festgelegt ist die Unfallflucht in Paragraf 142 Strafgesetzbuch
(StGB), Juristen sprechen vom “unerlaubten Entfernen vom Unfallort”. “An diesem
Paragrafen gibt es durchaus berechtigte Kritik”, sagt Krämer. “Der Verkehrsgerichtstag
2018 hat sich mehrheitlich für eine umfassende Reform ausgesprochen.”

Welche Wartezeit ist “angemessen”?

Doch
wie verhält man sich nun richtig? Das ist für denjenigen, der den Kratzer
verursacht hat, meist schwer einzuschätzen. Aber es gibt einige Anhaltspunkte.
“Wichtig zu wissen ist: Der Straftatbestand zielt darauf, die Beweissicherung
für den Geschädigten zu schützen”, erklärt der Anwalt. “Daraus folgt, dass der
Schädiger nur die Feststellungen zu seiner Person und seiner Art der
Beteiligung an dem Unfall ermöglichen muss, mehr nicht.” Der Zettel hinter der
Windschutzscheibe reicht dafür trotzdem grundsätzlich nicht aus. Dem Gesetz
nach muss der Schädiger grundsätzlich eine “angemessene Zeit” warten.

Die
Zeitspanne wird allerdings nicht näher definiert. “Tagsüber auf einem belebten
Parkplatz kann die Wartezeit länger sein als nachts um 3 Uhr in einer einsamen
Gegend, in der man ein parkendes Auto angefahren hat”, sagt Krämer. Auch wenn
ein Schneesturm über den abgelegenen Parkplatz fegt oder die
Witterungsverhältnisse schlecht sind, der Schaden am Wagen aber minimal, beeinflusst
das die zumutbare Wartezeit.

Wenn
derjenige, der den Schaden verursacht hat, eine angemessene Zeit gewartet hat,
darf er sich entfernen, muss aber die Feststellungen unverzüglich nachholen.
“Das heißt, dass man eine nahe gelegene Polizeidienststelle darüber zu
informieren hat, dass man an einem Unfall beteiligt gewesen ist, seine
Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines
eigenen Fahrzeugs bekannt gibt und dieses für eine zumutbare Zeit zur Verfügung
hält”, erklärt Krämer. “Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass man der
Polizei gleich nach dem Unfallereignis diese Informationen mitteilen muss.” Außerdem
empfiehlt der Rechtsanwalt, sich auf jeden Fall den Namen des Polizeibeamten
oder der Polizeibeamtin aufzuschreiben und den Anruf in der Anrufliste seines
Telefons abzuspeichern.

Er
rät außerdem, den Zettel mit Namen, Anschrift, Telefonnummer und
Kfz-Kennzeichen auch dann am Fahrzeug des Geschädigten anzubringen, wenn man
nach angemessener Zeit den Unfallort verlassen will. “Sind die Angaben auf dem
Zettel vollständig, dann wird nicht selten ein Verfahren eingestellt, wenn der
Schädiger bei geringem Schaden davon ausgegangen war, dass ein Zettel
ausreichend sei”, sagt Rechtsanwalt Krämer.

Nicht vergessen: den eigenen Versicherer anrufen

Er
empfiehlt, lieber zu viel zu tun als zu wenig, “gerade weil der
Unfallfluchtparagraf voller unbestimmter Rechtsbegriffe wie zumutbare Zeit
oder angemessene Zeit ist und tatsächlich Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit gerechtfertigt sind”. Und er fügt hinzu: “Der nachweisbare
Anruf bei der Polizei ist nie verkehrt.”

Wichtig
ist auch, den Unfall sofort der eigenen Haftpflichtversicherung zu melden. “Die
meisten Versicherungen sind nur über eine Hotline zu erreichen. Dort sollte man
sich sofort die dort vergebene Schadennummer mitteilen lassen und auch den
Namen desjenigen, mit dem man gesprochen hat”, empfiehlt Krämer und nennt den
Grund dafür: “Die Versicherer nehmen bei einer tatbestandlich verwirklichten
Unfallflucht grundsätzlich Regress gegen den Versicherungsnehmer
beziehungsweise den Unfallflüchtigen”, warnt der Anwalt.

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