Am Montag war ein guter Tag. Für
Migranten auf der ganzen Welt. Und für die Debattenkultur in Deutschland. In
Marrakesch haben die allermeisten Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen den sogenannten Migrationspakt angenommen, jene Vereinbarung, die die Rechte von
Arbeitsmigranten stärken und die oft miserablen Bedingungen, unter denen sie
leben, verbessern soll. Monatelang war
darüber gestritten worden und wer die Bundestagsdebatten der vergangenen
Wochen verfolgte, konnte zeitweise den Eindruck gewinnen, Deutschland habe
keine anderen Probleme als diesen Pakt.
Der AfD
gelang es, diese rechtlich unverbindliche multilaterale Vereinbarung
als gefährliche Attacke auf die staatliche Souveränität zu verkaufen – und das
seit Monaten öffentlich zugängliche Verhandlungsdokument als geheimen Deal. Die
Bundesregierung verteidigte sich mit dem unbeholfenen Argument, der Pakt habe
ohnehin keine völkerrechtliche Schlagkraft. Das klang, als sei das unter großem Aufwand verhandelte Regelwerk quasi wurscht. Und es dürfte viele
Bürger eher verwirrt als aufgeklärt haben. Nun also ist das Debattendesaster
endlich vorbei. Das Problem ist nur: Die AfD läuft sich schon fürs nächste
warm.
Denn im Streit um den Migrationspakt ist
weitgehend untergegangen, dass die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen noch
einen zweiten Pakt vereinbart haben: den Global Compact on Refugees. Er befasst
sich nicht mit Arbeitsmigranten, sondern mit der Lage der weltweit mehr als 60
Millionen Flüchtlinge – ein Thema mit ähnlich großem Verhetzungspotenzial. “Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen,
um gegen diesen Pakt vorzugehen”, sagte der Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion,
Christian Lüth. Viel Zeit bleibt der Partei allerdings nicht; der
Flüchtlingspakt soll schon am kommenden Montag von der Generalversammlung der
Vereinten Nationen angenommen werden. Es lohnt sich aber zu fragen, was genau
der AfD an dem Pakt nicht gefällt. Weil man hier noch deutlicher als beim
Migrationspakt sieht, wie radikal sich Debatten von Fakten entkoppelt haben.
Und dass es der AfD um mehr geht als um billige Stimmungsmache.
Die Fakten zum Flüchtlingspakt
Der Flüchtlingspakt hat, genau wie der
Migrationspakt, seinen Ursprung im Spätsommer 2016. Damals trafen sich die
Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in New York, um darüber zu beraten, was
sie den steigenden Migranten- und Flüchtlingszahlen entgegensetzen. Und weil
Flucht und Migration naturgemäß grenzüberschreitende Phänomene sind, einigten
sie sich darauf, die Probleme, die damit einhergehen, nicht im Alleingang,
sondern gemeinsam zu lösen. Für den Umgang mit Arbeitsmigranten, für den es
noch keinen internationalen Rechtsrahmen gibt, wollten sie in einem
Migrationspakt erste Mindeststandards vereinbaren. Für Asyl- und Schutzsuchende gibt es einen solchen Rahmen seit Langem: die
Genfer Flüchtlingskonvention, das EU-Recht, die nationalen Asylgesetze. Was
fehlt, ist ein Überblick, welche konkreten Maßnahmen und Standards
funktionieren und welche nicht – etwa bei der Verteilung oder der Unterbringung
der Flüchtlinge. Die Mitgliedsstaaten beauftragten das UNHCR, das Flüchtlingshilfwerk
der Vereinten Nationen, eine Art Leitfaden zusammenzustellen. Herausgekommen
ist der Flüchtlingspakt, ein Dokument, das sich an vier Fragen orientiert:
- Wie verhindert man, dass Länder, die
Millionen Flüchtlinge aufnehmen, unter der Last kollabieren? - Wie sorgen Flüchtlinge für sich
selbst, statt dauerhaft von humanitärer Hilfe abhängig zu sein? - Wie lässt sich die Zahl der
Resettlement-Flüchtlinge erhöhen, also jener bereits geflüchteter Menschen, die
legal umgesiedelt werden, weil sie in ihrem Aufnahmeland keinen ausreichenden
Schutz bekommen? - Und schließlich: Wie kehren
Flüchtlinge zügig und sicher in ihr Heimatland zurück?
Vor allem der dritte Punkt ist in den
Augen der AfD ein Problem. Die Partei fürchtet, dass die Resettlement-Programme
nicht zur kontrollierten Umsiedlung einzelner Flüchtlinge führen, sondern zu
einer Invasion.
Tatsächlich kommen für das
Resettlement nur anerkannte besonders schutzbedürftige Flüchtlinge infrage.
Die alleinstehende Mutter mit Kindern etwa, die ihren Mann im Krieg verloren
hat und in ihrem Flüchtlingslager im Libanon keine Unterstützung bekommt. Es
geht um individuelle Härtefälle. Nicht, wie die AfD oft suggeriert, um Horden
junger muslimischer Männer, die aus rein wirtschaftlichen Gründen ihr Land
verlassen und im Zuge eines staatlich verordneten
“Bevölkerungsaustausches” nach Deutschland gelockt werden.
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