/“Widows”: Eine allein ist zu wenig

“Widows”: Eine allein ist zu wenig

Frauen, die sich im Verbrechermilieu bewegen, gibt es viele in der
Filmgeschichte. Wenn auch auf der einen Seite des Gesetzes mehr als auf der anderen. Die Zahl
an Ermittlerinnen, Kommissarinnen oder Profilerinnen übersteigt um ein Vielfaches die Zahl
jener, die unser guter alter Duden als “Gangsterin” führt. Das weibliche Pendant zum kulturell
geläufigeren Gangster und nicht zu verwechseln mit der “Gangsterbraut”. Diese ist, so die
Definition des Wörterbuchs, nur “mit einem Gangster liiert”.

Ein mehr als kleiner Unterschied. Es ist ja schon was grundsätzlich anderes, vom Wohlstand zu profitieren, den der Gangstergatte mittels Raubüberfällen, Einbrüchen und Drogengeschäften nach Hause bringt, oder die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die es tun, strahlen auf der Leinwand umso mehr. John Cassavetes’
Gloria

(1980) oder Quentin Tarantinos
Jackie Brown

(1997) verliehen dem weiblichen Gangstertum geradezu divenhaften Glanz. Nicht ohne Grund heißen die Filmklassiker wie ihre Heldinnen. Denn diese sind Einzelkämpferinnen. Frauen, die es allein mit der Welt und dem kriminellen Gewerbe aufnehmen, allein im Bandendschungel zu überleben suchen, wie Gloria, oder, wie im Fall von Jackie Brown, ein mit Dollarscheinen gefülltes Köfferchen davontragen und der Polizei ein mit Zeitungspapier gefülltes zurücklassen.

In ihrem Rollenmodell spiegelt sich ein bedeutsamer Aspekt der Emanzipationsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die sich nicht zuletzt als die Triumphgeschichte von Pionierinnen verstehen lässt: die erste Premierministerin, die Erste an der Spitze des Weltwährungsfonds, die Erste am Dirigentenpult, die Erste auf einem Achttausender und so weiter. Tolle Siege. Aber auch verlässliche Fortschritte? Wer und was folgen, wenn die eine, die den Durchbruch zum Gipfel geschafft hat, ihn wieder verlässt? Ist der feministische Kult um die Pionierin nicht generell ein wenig verstaubt? Zu heldenhaft, zu hierarchisch, zu männlich gedacht?

Mag es Zufall sein, dann ist es zumindest ein interessanter: Just in dem historischen Moment, da die erste Kandidatin auf das amerikanische Präsidentenamt dieses knapp verpasst hat, erfindet das amerikanische Thrillerkino das Gegenmodell zur glorreichen Pionierin, die Frauengang. Sie kam in Gestalt des komödiantischen Blockbusters
Ocean’s 8
zu Jahresbeginn ins Kino, sie ballert sich in
Assassination Nation, der seit Kurzem in Deutschland zu sehen ist, durch den satirischen Social-Media-Krieg einer Kleinstadt und läuft nun in dem vielschichtigen Thriller
Widows – Tödliche Witwen
zu großer Form auf.

Veronicas Ehemann Harry, Kopf einer Chicagoer Bande, kommt bei einem Raubzug ums Leben. So sieht es in der Anfangssequenz von
Widows
zumindest aus. Der Van, in dem er mit ein paar seiner Ganoven eine Zwei-Millionen-Dollar-Beute abtransportiert, geht im Kugelhagel der Polizei in Flammen auf. Ein Mitwisser erpresst Veronica, die zwei Millionen zu beschaffen. Sie beschafft – aber nicht, indem sie ihr Luxusappartement verkauft. Veronica, großartig gespielt von der Afroamerikanerin Viola Davis, plant einen Fünf-Millionen-Dollar-Coup auf eigene Rechnung und zieht ihn mit zwei Witwen, deren Männer sich im Van befanden, nach allen Regeln des gehobenen Verbrecherhandwerks durch.

Widows nimmt sich einige Zeit, um die Verwandlung der Gangsterbräute in Gangsterinnen zu inszenieren, und lässt sich die entsprechenden Pointen nicht entgehen. Die jüngste und naivste der Witwen ist dafür zuständig, Waffen und Fluchtauto zu besorgen. Von Ersteren hat sie keine Ahnung und besitzt, wie sich herausstellt, auch keinen Führerschein. Aber das sind Äußerlichkeiten, operative Probleme, die sich lösen lassen. Worauf es wirklich ankommt, ist die innere Entscheidung zu kompromissloser Härte. “Wir haben viel Arbeit vor uns, heulen steht nicht auf der Liste”, schnauzt Veronica, ganz Bandenchefin, die debütierenden Verbrecherinnen in einer Szene an.

Die Härte, die sie sich zulegt, überdeckt die gemischten Motive nicht. In den Close-ups auf das feine Mienenspiel im ausdrucksstarken Gesicht von Viola Davis wird neben der Entschlossenheit der Gangsterin auch die Bitterkeit der farbigen Frau sichtbar, die vom weißen Ehemann (Liam Neeson) doppelt betrogen wurde: um ihre Liebe und um ihren Platz in der Gesellschaft.
Widows
endet in einem überraschenden Showdown des Paares, mit dem der Actionthriller endgültig ins Melodram abbiegt.

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