Andererseits gehört zur Kernkompetenz von Projektmanagern auch, Vorhaben auf die Beine zu stellen, die andere für unrealistisch halten. Vor allem aber hat ihre Polewater GmbH mit Andreas Gagneur einen dritten Mann an Bord, der sich mit Technik auskennt. Gagneur ist ein ehemaliger Projektmanager der deutschen Öl- und Gasfirma RWE Dea AG, betreut mit seinem Ingenieurbüro Ingenion normalerweise den Bau von Offshore-Windparks, Bohrplattformen und Hafenterminals, kennt sich also mit schwerem Gerät auf hoher See aus. Polewater ist für ihn, genau wie für seine Mitstreiter, Arbeit, die nebenbei läuft, aber „Jungsprojekte wie diese“ seien ihm „die liebsten“.
Der Ingenieur nimmt für sich in Anspruch, sämtliche Phasen der Eiswassergewinnung präziser durchdacht und konkreter geplant zu haben als jede Eisberg-Mission zuvor. Er setzt auf erprobte Techniken, die anderweitig bereits im Einsatz waren, flexibel verfügbar und von Polewater kostengünstig zu chartern wären. So sollen die enormen Anlaufinvestitionen, an denen Vorgängermissionen scheiterten, vermieden werden. „Wer auf einen Eisberg raufwill, muss zunächst von den Kosten runter“, sagt er und startet auf seinem Laptop eine Präsentation.
Der Bildschirm zeigt Satelliten-Aufnahmen des Südlichen Ozeans. Im grauen Wasser sind zahllose weiße Würfel zu erkennen, die Gagneur heranzoomt: Eisberge. Polewaters bevorzugte Zielobjekte, erklärt der Ingenieur, seien Tafeleisberge von rund vier Millionen Tonnen Gewicht und dem anderthalbfachen Volumen der Cheops-Pyramide. Damit sind sie groß genug, um wirtschaftlich interessant zu sein, und gleichzeitig klein genug, um sich abschleppen zu lassen. Nach diesen Brocken sucht der TerraSar-X-Satellit von Airbus Defence & Space im Auftrag Polewaters permanent das Meer südlich von Feuerland ab – da, wo der antarktische Zirkumpolarstrom die Abbruch-Blöcke ostwärts und ihrem Zerfallsprozess entgegenschaukelt.
Ist ein aussichtsreicher Kandidat geortet, wollen ihm Gagneur und Kollegen einen gecharterten Hochseeschlepper entgegenschicken. Rund um den 60. Breitengrad Nord – und damit jenseits der Antarktischen Schutzzone – soll ihn der Schlepper mit einem vier Kilometer langen Spezialgeschirr aus Hochleistungs-Kunststoff an den Haken nehmen, das wie ein Lasso um den Eisberg geschlungen wird. Einem Judoka ähnlich, der die Kraft seines Gegners nutzt, beschleunigt der Schlepper zunächst lediglich die natürliche Drift des Eisbergs, um ihn dann erst auf dem letzten Abschnitt der Strecke behutsam über den Benguelastrom gen Norden abzulenken. Knapp einen Monat nach Beginn soll die Reise des Riesen dann 20 bis 30 Kilometer vor der südafrikanischen Küste enden. „Südamerika läge natürlich näher“, sagt Gagneur und klickt eine Folie weiter, „ist aber infrastrukturell nicht so gut angebunden wie Südafrika.“
Im Zielgebiet will Gagneur den bis dahin mutmaßlich auf die Hälfte geschrumpften Trumm mit einer sogenannten Wasserstation erwarten. Von einer solchen schwimmenden Plattform aus, die man überall hinschleppen könnte, wo Eisberge abzubauen wären, wollen die Polewater-Techniker den Frostklotz beernten. Stabpumpen sollen bis zu 12 500 Tonnen Wasser pro Tag von den Schmelzwasserseen auf der Oberseite des Berges in die Station saugen, wo es analysiert und gefiltert wird. „Wir kalkulieren konservativ mit einer Ernte von maximal zehn Prozent der Eisbergmasse“, sagt Gagneur, „aber selbst das wären noch 400 Millionen Liter reinstes Trinkwasser.“
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