Nun hat der Senat seinen Widerstand aufgegeben: Wegen überschrittener Schadstoffwerte in der Luft werden ab dem kommenden Jahr Fahrverbote und strengere Geschwindigkeitsvorschriften für eine Reihe von Berliner Straßen gelten. Dies beschloss der Senat am Dienstag. Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) begründete den Verzicht auf eine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes so: “Der Gesundheitsschutz für alle Berliner und Berlinerinnen steht an erster Stelle.” Eine Berufung solle nur für den Fall eingelegt werden, dass die Klägerin Deutsche Umwelthilfe ihrerseits noch in Berufung geht. Dies gilt als wenig wahrscheinlich.
Eine Berufung hätte nach Einschätzung der Umweltverwaltung die notwendigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung um etwa ein Jahr verzögert. Zum anderen hätte es erhebliche Prozessrisiken gegeben, bei einer Berufung gebe es deutlich mehr zu verlieren als zu gewinnen, meinte Günther. So könnte es zu Fahrverboten auf der Stadtautobahn A100 kommen oder flächendeckende Einschränkungen.
Das Verwaltungsgericht hatte im Oktober auf eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hin entschieden, dass Berlin auf elf Straßenabschnitten im nächsten Jahr Fahrverbote für ältere Diesel verhängen muss, weil der Grenzwert für das Luftgift Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm dort besonders massiv überschritten wird. Für 106 weitere Abschnitte müssen Fahrverbote und Alternativen geprüft werden. Ende März muss ein Luftreinhalteplan für alle 117 Straßen fertig sein, spätestens Ende Juni müssen die Maßnahmen umgesetzt sein – ab Juli müssen also die Schilder mit “Durchfahrt verboten” oder Tempo 30 hängen.
Die A100 hatte die DUH nach Einschätzung von Juristen der Verkehrsverwaltung in ihrer Klage gegen das Land Berlin schlicht vergessen, die Diskussion um Fahrverbote auf der Stadtautobahn war erst nach Urteilsverkündung aufgekommen. Die Berufungsfrist endet am 17. Dezember.
Grüne und Linke akzeptierten Urteil schnell
Die Grünen hatten sich bereits kurz nach dem Urteil entschieden, dass Gesundheitsschutz Vorrang hat, das Verhalten der SPD-Senatoren galt bis zuletzt als unklar. In der Verkehrsverwaltung hieß es, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtes gut begründet sei, Fehler seien nicht erkennbar. Die CDU hatte bereits kritisiert, dass Grüne und Linke den Richterspruch „in vorauseilendem Gehorsam akzeptieren“ wollten. Die FDP forderte, „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger” Berufung einzulegen, um alle Möglichkeiten zu nutzen, Fahrverbote doch noch zu verhindern.
Aus Sicht der Verkehrsverwaltung wird es ohne Verbote in den am stärksten belasteten Straßen nicht gehen. Die elf Abschnitte sind zusammen nur gut ein Kilometer lang, drei davon liegen in der Leipziger Straße. Angesichts von 5000 Kilometer Straßen sei das Problem nicht so groß, betonte Günther. Ausgeschilderte Umleitungen werde es nicht geben. Inwieweit es Ausweichverkehr durch andere Straßen geben werde, müsse gezählt werden.
In den 106 anderen Straßenabschnitten wird vermutlich ab Juli 2019 Tempo 30 eingeführt. Dies sei die schnellste und einfachste Lösung. Wie berichtet, hatte das Gericht akzeptiert, dass bei Tempo 30 pauschal eine Minderung von 5 Mikrogramm angesetzt werden kann. Das heißt: Bei den vielen Straßen, in denen der Grenzwert von 40 Mikrogramm nur um wenige Mikrogramm überschritten wird, ist Tempo 30 die einfachste Lösung, das Urteil einzuhalten. Schwieriger wird es zum Beispiel in der Leipziger Straße und den anderen mit starker Überschreitung des Grenzwertes. Sollten Messungen ergeben, dass das Fahrverbot für ältere Diesel die NO2-Belastung nicht senkt, wird es schärfere Verbote geben: Zum Beispiel für Lastwagen oder für neuere Diesel-Pkw.
Wer die Einhaltung des Verbots wie kontrollieren soll, darüber gibt es von der Verkehrsverwaltung keine Angaben. Bekanntlich gibt es noch keine bundeseinheitliche “Blaue Plakette” für saubere Diesel. Und die Berliner Polizei ist so überlastet, dass es außer einem PR-Kontrolleinsatz für die Medien kein Personal für eine dauernde Überwachung gibt.
Bürgerbeteiligung zur Luftreinhaltung gestartet
Am Montag startete die Bürgerbeteiligung zum neuen Luftreinhalteplan. Bis zum 4. Januar 2019 können Bürgerinnen und Bürger auf der Beteiligungsplattform www.mein.berlin.de an einer Umfrage zur Luftqualität teilnehmen und ihre Vorschläge oder Ideen einbringen, teilte die Umweltverwaltung mit. Alle Kommentare werden gesammelt und ausgewertet und fließen nach Möglichkeit in den Luftreinhalteplan ein. Die Befragung ist der erste Schritt der Öffentlichkeitsbeteiligung. Für Anfang Februar 2019 ist eine zweite Beteiligungsphase geplant.
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