Einen Tag nach dem gewaltsamen Tod eines achtjährigen Kindes im Frankfurter Hauptbahnhof hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, die Sicherheitsmaßnahmen auf den Bahnhöfen zu überprüfen. “Wir müssen die technische und personelle Präsenz auf den Bahnhöfen erhöhen”, sagte der Minister bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit BKA-Chef Holger Münch und Bundespolizeipräsident Dieter Romann in Berlin. Einwände, bestimmte Maßnahmen würden Millionen Euro kosten, ließ Seehofer nicht gelten. “Das ist kein Argument”, sagte er. “Wenn es um Menschenleben geht, dann akzeptiere ich das Argument mit dem Geld nicht.”
Am Montagvormittag hatte ein Mann den Jungen und seine Mutter ohne erkennbares Motiv vor einen
einfahrenden ICE gestoßen. Das Kind starb, die Mutter konnte sich
retten. Der mutmaßliche Täter, ein 40-jähriger eritreischer Staatsbürger mit Wohnsitz in der Schweiz, wurde
nach kurzer Flucht von Passanten überwältigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des Mordes
und des versuchten Mordes gegen ihn.
Alle Möglichkeiten “vorurteilsfrei” prüfen
“Nach so einem Mord ist es unmöglich, zur Tagesordnung überzugehen”, sagte Seehofer zum Tatgeschehen. Er zeigte sich bestürzt über den “kaltblütigen Mord”, das “grässliche Verbrechen” und sprach der Familie des Jungen “im Namen der gesamten Bundesregierung” die Anteilnahme aus. “Ich darf Ihnen versichern, dass wir alles tun werden, damit der mutmaßliche Täter einer gerechten Strafe zugeführt wird”, sagte der Minister vor Journalisten.
Um solchen Taten vorzubeugen, soll es mehrere Spitzengespräche von Experten des Bundesinnenministeriums mit Experten der Deutschen Bahn und des Bundesverkehrsministeriums geben. Dabei sollen laut Seehofer “alle technischen Möglichkeiten” beraten werden – “und zwar vorurteilsfrei”, inklusive einer Ausweitung der Videoüberwachung oder einer zusätzlichen Sicherung der Bahngleise durch Schranken oder Sperren. Erforderlich sei vor allem
auch eine größere Präsenz der Polizei, insbesondere der Bundespolizei, die an den Bahnhöfen bereits jetzt regelmäßig patrouilliert.
“Das Sicherheitsgefühl in Deutschland ist sehr angespannt”
“Es gibt 5.600 Bahnhöfe in Deutschland”, machte Seehofer die Dimension der angedachten Sicherheitsmaßnahmen deutlich. “Jeder dieser Bahnhöfe hat eine völlig
unterschiedliche Struktur. Das zeigt, wie komplex diese Aufgabe
ist und dass es solche Sicherheitsgespräche der Ministerien und der Bahn geben muss.” Dies erfolge aber nicht in
dem Irrglauben, totale Sicherheit zu erreichen, ergänzte der CSU-Politiker.
Gefragt nach den Folgen für die Flüchtlingspolitik sagte
Seehofer, die Bundesregierung sei auch weiterhin bereit,
Flüchtlinge aufzunehmen. Daran ändere der Vorfall in Frankfurt
nichts. “Aus diesem Fall sind keine Konsequenzen für unsere ausländerrechtlichen Bestimmungen zu ziehen”, sagte der Minister.
Mit Blick auf weitere Gewaltakte in den vergangenen Wochen – der Mord am
Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Übergriffe gegen Moscheen und gegen eine Stadträtin, der rassistisch motivierte Angriff auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach – sprach Seehofer von einem “enormen Werteverfall” in unserer Gesellschaft. Dabei verwies er auch auf die Randale von rund 50
Jugendlichen vor einer Polizeidienststelle in Starnberg und auf
wiederholte Tumulte von Jugendlichen im Düsseldorfer
Rheinbad. Das alles, so der Bundesinnenminister, führe dazu, dass das Sicherheitsgefühl in Deutschland derzeit “sehr angespannt” sei – auch wenn die allgemeine Kriminalität zurückgehe. “Die Politik hat deshalb die Pflicht, zu überprüfen, wie wir dieses Sicherheitsgefühl verbessern können.”
400 Menschen bei Andacht in Frankfurt
In Frnakfurt erinnerten am Abend 400 Menschen mit einer Andacht an den getöteten Jungen. Der Tod des Kindes sei für die Angehörigen eine “sinnlose Katastrophe”, sagte der Leiter der Frankfurter Bahnhofsmission, Carsten Baumann. “Wir können nicht glauben, dass ein Leben sinnlos abbricht, das gerade erst begonnen hat.” Baumann lud die Trauernden ein, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. Zunächst war geplant, die Andacht in der Bahnhofshalle abzuhalten, wegen des erwarteten großen Andrangs wurde sie aber auf den Vorplatz verlegt.
Die Pfarrerin der Evangelischen Hoffnungsgemeinde, Jutta Jekel, mahnte, “wir dürfen nicht zulassen, dass jetzt Gedanken von Hass um sich greifen”. Jetzt gelte es, bei den Opfern zu stehen. “Es geht darum, dass wir zusammenhalten, dass wir uns nicht hinreißen lassen von Wut und Gewalt”, sagte Jekel. An dem Gottesdienst nahmen Vertreter der katholischen und evangelischen Gemeinden in Frankfurt teil, unter ihnen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahnhofsmission und der eritreischen Kirchengemeinden Frankfurt.
Neben dem Gottesdienst gab es auf dem Bahnhofsvorplatz auch zwei Mahnwachen unterschiedlicher politischer Gruppierungen. “Es gab einige hitzige Diskussionen, aber niemand ist den anderen angegangen”, sagte ein Polizeisprecher.
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