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Christopher Street Day: Stolz, stark, schwul

Vor 50 Jahren war das Stonewall Inn in der Christopher Street in New York
eine billige, angegammelte Kneipe ohne fließend Wasser. Hier trafen sich Schwule, die in der
Hierarchie ganz unten standen: Schwarze, Dragqueens, Strichjungen, Straßenkinder ohne Geld.
Einer der Stammgäste war Stormé DeLarverie, eine halb schwarze, hochgewachsene, männlich
wirkende Lesbe. “Sie hatte drei Pistolen und mindestens eine davon immer im Hosenbund”,
erzählt ihre Freundin, die Transgender-Performancekünstlerin Rose Wood: “Stormé ließ sich
nichts gefallen.” 1920 wurde sie in New Orleans geboren, als Tochter eines weißen Vaters und
einer schwarzen Mutter; als Kind wurde sie oft von Mitschülern verprügelt. “Irgendwann sagte
ihr Vater zu ihr: Du musst lernen, dich zu wehren.”

Das Stonewall Inn liegt in Greenwich Village im Südwesten Manhattans, aber Rose und Stormé lernten sich im nahen Chelsea Hotel kennen, wo Rose heute noch lebt; Stormé starb 2014. Am frühen Morgen des 28. Juni 1969 veranstaltete die Polizei eine Razzia im Stonewall Inn. Sie nahmen alle Dragqueens fest, auch eine schwarze Lesbe im Anzug. Das war Stormé. Ein Polizist zog ihr den Schlagstock über den Kopf und wollte sie in den Polizeiwagen zerren. Stormé schlug zurück und befreite sich aus dem Polizeigriff. “Sie war stark und zäh, einer der zähesten Menschen, die ich je getroffen habe”, sagt Rose. Für die Polizei war das völlig überraschend: Schwule, die sich wehrten! Nun fingen die übrigen Gäste an, die Polizisten mit Münzen zu bewerfen, angeführt von der schwarzen Transvestitin Marsha Johnson, andere warfen mit Pflastersteinen vom nahen Sheridan Square. Feuer brachen aus.

Der Kneipenaufstand entwickelte sich zu einer dreitägigen Straßenschlacht, zu der Unterstützer aus ganz New York herbeieilten, darunter der Schriftsteller Allen Ginsberg, der ebenfalls im Chelsea Hotel lebte. Die Polizei, die erst mit dem
vice squad,
der Sittenpolizei, angerückt war, sandte nun
riot squads,
Einheiten, die Aufstände niederschlugen. “Daraufhin haben sich die Dragqueens quer über die Straße hinweg untergehakt, die Beine mit ihren hochhackigen Schuhen in die Luft geworfen wie Can-Can-Girls und laut gesungen”, erzählt Richard Goldstein. “Da ergriffen die Polizisten die Flucht.”

Goldstein ist Journalist und Autor von
Another Little Piece of My Heart: My Life of Rock and Revolution in the ’60s.
In den Sechzigern schrieb er über Rockmusik für die
Village Voice,
die 1955 von Norman Mailer gegründete Szenezeitung. Die
Voice
hatte ihr Büro über dem Stonewall Inn, und die Belegschaft arbeitete nachts, weil die Schreibtische tags an eine Werbefirma vermietet waren. So waren sie die ersten Journalisten am Ort. “Einer unserer Reporter stand vor der Tür, ein zweiter saß in der Bar, wo die Schlägerei tobte, und ich selbst sah vom Bürofenster aus zu”, erzählt Goldstein. “Aber ich dachte damals nicht, dass das etwas mit mir zu tun hat. Ich war sexuell noch an Frauen interessiert.”

1969 war in den USA nicht nur Homosexualität strafbar; Männern war es auch verboten, Frauenkleidung zu tragen, und umgekehrt (außer an Halloween). Bars durften keinen Alkohol an Schwule ausschenken. “Alle New Yorker Schwulenkneipen wurden von der Mafia betrieben, die ihre schwulen Söhne hinter den Tresen stellte, und die Mafia schmierte die Polizei”, erzählt Goldstein. Die kam zwar trotzdem, aber nie unangemeldet. Der Barkeeper drückte dann einen Kopf, eine rote Lampe ging an, die Gäste stellten brav ihre Drinks ab und hörten auf zu tanzen, denn keine dieser Bars besaß die erforderliche Tanzlizenz. “Aber das Stonewall hatte entweder vergessen, die Polizei zu schmieren, oder es war gerade kein Geld da.”

Binnen Wochen breitete sich der Aufstand über ganz Amerika aus. In Los Angeles wurde demonstriert, in Chicago und natürlich in San Francisco, im Schwulenviertel um die Castro Street. Vor Stonewall gab es in den USA einzig die Mattachine Society, danach bildeten sich innerhalb weniger Jahre Tausende von schwulen Interessengruppen. Und der Kampf griff auch auf Europa über. Vor 40 Jahren, im Juni 1979, beging man in Deutschland erstmals den Christopher Street Day, in Bremen, Köln und West-Berlin.

“Für Stormé war nach den Stonewall Riots nichts mehr wie zuvor”, sagt Rose Wood. Stormé war jahrelang als Dragking aufgetreten, als Frau in Männerkleidern, zusammen mit der Jewel Box Review, einer gemischten Truppe, schwarz und weiß, die durch die USA tourte, als im Süden noch Apartheid herrschte; auch im Apollo Theater in Harlem sangen sie. “Nach Stonewall verabschiedete sie sich vom Showbusiness und widmete sich ganz dem Kampf für die Gleichberechtigung”, erzählt Rose. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie nun als Türsteher im Village und in Chelsea, auch als Bodyguard.

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